Tirol

Schwarz-grüne Kompromisse sorgen für Debatten

(Symbolfoto)
© Thomas Böhm/TT

Ab Herbst wird auf Teilen der Inntal- und der Brennerautobahn Tempo 100 eingeführt. Die Weichen für das Kraftwerk Sellrain-Silz wurden gestellt. Dass das Innkraftwerk der freien Fließstrecke am Inn zum Opfer fällt, lässt die Wogen hochgehen.

Von Anita Heubacher und Peter Nindler

Innsbruck – Die von der ÖVP forcierte und jetzt mit öffentlichem Interesse ausgestattete Priorität für die Großkraftwerke im Oberland wie Sellrain-Silz hat einen grünen Preis: eine Tabustrecke für Fließgewässer. Die größte betrifft den Inn zwischen Haiming und Kirchbichl. Dieser kraftwerksfreien Zone wird das bereits einmal umgeplante Regionalkraftwerk Inn (RMI) der Innsbrucker Kommunalbetriebe bei Pettnau zum Opfer fallen. Die IKB wollen 130 Mio. Euro für jährlich 92,4 Gigawattstunden investieren.

Innsbrucks BM Christine Oppitz-Plörer soll erzürnt sein, der VP-Wirtschaftsbund ist gegen ein Aus für das RMI und IKB-Chef Harald Schneider spart nicht mit Kritik an der Regierung. „Die Umweltverträglichkeitsprüfung läuft, wir ziehen sicher nicht zurück“, betont Schneider mit Nachdruck. Verärgert ist er über die Vorgangsweise. „Für uns kommt das sehr überraschend, im Vorfeld wurden keine Gespräche mit den IKB geführt.“ Bisher sei bereits ein satter einstelliger Millionenbetrag in die Vorarbeiten für das Innkraftwerk investiert worden, merkt Schneider an, der sich einen Seitenhieb nicht verkneifen kann. „Das alles zeugt nicht von hoher Wertschätzung der Landespolitik gegenüber den IKB.“

Viel entspannter sieht Bruno Wallnöfer die Situation: Der Chef des landeseigenen Energieerzeugers Tiwag, der mit 50 Prozent minus einer Aktie an der IKB beteiligt ist, verweist darauf, dass den IKB im Gegenzug eine Beteiligung am Tiwag-Kraftwerk Imst-Haiming angeboten wurde und wird. „Für eine Investitionsbeteiligung gibt es Strom.“ Wallnöfer bezeichnet dies als übliche Kraftwerksscheibe. „Darüber haben wir bereits gesprochen.“ Gleichzeitig verhehlt Wallnöfer nicht, dass auch der neue Standort für das RMI von Experten kritisch gesehen werde und das Kraftwerk auch nicht besonders wirtschaftlich sei. Insgesamt spricht der Tiwag-Chef von einem guten Tag für Tirol. „Die Wasserkraft ist ein wesentlicher industrieller Wachstumspfad.“ Drei Mrd. Euro will die Tiwag in den nächsten 15 bis 20 Jahren investieren.

Weniger Grund zum Feiern verspürt Wirtschaftskämmerer Franz Hörl. „Ich kann nicht verstehen, warum unser Präsident und unsere Direktorin dem Paket zugestimmt haben.“ Das Paket enthält neben Tempo 100 auch weiter Lkw-Verbote für bestimmte Euro-Klassen. „Das haben wir so nicht ausgemacht“, erklärt der Präsident der Wirtschaftskammer Jürgen Bodenseer. Einige Punkte im Maßnahmenpaket müssten im Interesse der Wirtschaft korrigiert werden, forderte er via Aussendung. Die Landesregierung möge Busse vom Fahrverbots-Stufenplan ausnehmen. Viele Bussen wären betroffen, weil sie abgasreich sind. Bodenseer vermisst zudem, „die Evaluierung aller Lkw-Fahrverbote“. Beim sektoralen Fahrverbot will er Ausnahmen für den Ziel- und Quellverkehr. Das sektorale Fahrverbot verbannt bestimmte Güter wie Schrott oder Müll von der Straße auf die Schiene. Es wurde im Dezember 2011 vom Europäischen Gerichtshof gekippt. Nicht als solches, sondern weil Tirol zuerst gelindere Mittel im Ringen um eine bessere Luft einsetzen möge. Aus Sicht der EU waren dies stets Tempo 100 und Lkw-Fahrverbote für schadstoffreiche Klassen.

Tempo 100 wird ab Herbst streckenweise auf er Inntal- und Brennerautobahn eingeführt. Ein Jahr später soll im November 2015 das sektorale Fahrverbot kommen. Die Grenzwerte für Schadstoffe werden in Tirol bei weitem überschritten.

Ärzte und Experten hätten Alarm geschlagen und vor schweren Erkrankungen durch die Luftbelastung gewarnt, erklärte LH Günther Platter gestern. VP-Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg hatte sich wiederholt, zuletzt vor wenigen Tagen, gegen Tempo 100 ausgesprochen. Die Tempobremse hat jedenfalls eine Probezeit. Nach einem Jahr werde man sehen, ob es zur Verbesserung der Luftgüte beitrage, sagte Platter. Einen Kniefall vor Brüssel konnte der LH keinen ausmachen. „Es ist kein vorauseilender Gehorsam.“ Der Blick auf Tempo 100 habe sich innerhalb des letzten Jahres geändert. In einer Koalition müsse man Kompromisse eingehen. Umweltlandesrätin Ingrid Felipe (Grüne) ist zuversichtlich, dass das sektorale Fahrverbot kommen werde. „Unser Luftgütepaket bietet die Chance auf die größte Entlastung der Luft seit dem EU-Beitritt.“

Reaktionen auf Ausbau der Wasserkraft und Verkehrspaket

VP-Wirtschaftsbundobmann Jürgen Bodenseer beurteilt die Wasserkraftoffensive der Regierung differenziert. Er ist erfreut und optimistisch, dass beim Bau von Wasserkraftanlagen wieder verstärkt etwas weiter geht. „Mit der Vergabe von Großaufträgen der öffentlichen Hand, wie dem Bau von Speicheranlagen, Zuleitungen und Kraftwerken, profitieren auch die heimischen mittelständischen Unternehmen und die diversen Zuliefer- und Servicebetriebe.“ Mit der Sicherstellung der Ressource Wasserkraft verfüge Tirol über einen wahren Schatz. Keine Freude hat er mit der Tabuzone am Inn. „Zur Kraftwerksliste der Regierung wünsche ich mir zusätzlich noch das Laufkraftwerk Mittlerer Inn.“

Landwirtschaftskammerpräsident Josef Hechenberger ist froh, dass mit dem voraussichtlichen Aus für das aus der Sicht der Bauern umstrittene Innkraftwerk wertvolle landwirtschaftliche Flächen erhalten bleiben.

Liste-Fritz-Klubobfrau Andrea Haselwanter-Schneider kritisiert den schwarz-grünen Kompromiss als Kuhhandel. „Platter, gib du uns Tempo 100, dann opfern wir Grüne dir das Kaunertal für ein Mega-Kraftwerksprojekt! Dieser schwarz-grüne Kuhhandel offenbart das Ausmaß an politischer Mauschelei, bei der die Landesregierung Themen miteinander verknüpft, die nichts miteinander zu tun haben.“

Für Franz Hörl, VP-Bezirksobmann von Schwaz, braucht keiner den 100er. „Auch ich bin nach wie vor gegen Kniefälle vor Brüssel.“ Er wundert sich auch, dass die Wirtschaftskammerspitze dem Paket bereits zugestimmt hat.

FP-Klubchef Rudi Federspiel und Parteiobmann Markus Abwerzge r lehnen ein generelles Tempo-100-Limit in Tirol entschieden ab, weil es wirtschaftsfeindlich sei und heimische Arbeitsplätze gefährde. „Die Einführung des generellen Hunderter-Limits ist ein Kniefall der ÖVP vor den Grünen. Wir laden alle – wenn auch nur mehr rudimentär – vernünftigen Kräfte in der ÖVP ein, zukünftig den Weg mit uns zu gehen.“

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