Literatur

Ein Fußball-Buch für Fußballverweigerer

Tragische Helden, mythische Heilsbringer und korrupte Funktionäre: Klaus Zeyringer hat eine Kulturgeschichte des runden Leders geschrieben.

Von Joachim Leitner

Innsbruck –Eine Kabinenansprache der etwas anderen Art erlebten Perus Nationalspieler 1978 vor dem WM-Spiel gegen Argentinien: Nicht Trainer Marcos Calderón ergriff das Wort, sondern Argentiniens Diktator General Vileda und US-Außenminister Henry Kissinger. Beide appellierten an die „lateinamerikanische Einheit und Brüderlichkeit“ – und die Spieler verstanden den Wink mit dem Zaunpfahl. Endrundengastgeber Argentinien sollte gewinnen. Hoch gewinnen. Letztlich wurde es ein 6:1. Wenig später wird Argentinien seinen ersten WM-Titel feiern und Mario Kempes, dem im Finale gegen Ernst Happels Holländer das vorentscheidende 2:1 gelang, wird bekennen dürfen, dass nicht er, „sondern 25 Millionen Argentinier“ die Kugel nach schönem Alleingang und etwas Ballglück über die Linie drückten. Schöne Worte in einem Land, dessen uniformierte Regierung gerade einen schmutzigen Krieg gegen Regimegegner führt. Die groß angelegte Imagekampagne der Militärjunta hatte funktioniert: Das offizielle Argentinien feiert, die Welt klatscht Beifall. Nur einer spielt nicht. Cesar Luis Menotti, Trainer der „Albiceleste“, verweigerte den zufriedenen Generälen den Handschlag. Als Vertreter „linken Fußballs“ spiele er nicht, um zu gewinnen, sondern um sich zu verbessern.

Die Verbindung zwischen Politik und rundem Leder ist der rote Faden durch Klaus Zeyringers großangelegte Studie „Fußball. Eine Kulturgeschichte“. Weitgehend chronologisch spannt der an Université Catholique de l’Ouest in Angers lehrende Germanist den Bogen vom England des 19. Jahrhunderts, wo distinguierte Gentlemen die ersten Regeln des Spiels festschrieben, bis auf die Straßen brasilianischer Metropolen, wo noch vor wenigen Wochen beherzt gegen die anstehende WM protestiert wurde.

Selbst die Herausbildung unterschiedlicher Spielweisen, des holländischen „Voetbal totaal“ in den 1970er-Jahren zum Beispiel oder des neuerdings – nach zwei zugegeben glücklosen Spielen – für tot erklärten „Tiki-Taka“ wird vor dem Hintergrund gesellschaftspolitischer Veränderungen verhandelt. Es ist also weniger das Geschehen auf dem Platz, für das sich Zeyringer interessiert, als vielmehr das ganze Drumherum. Nicht der Fußball selbst, sondern das, wofür er stehen kann. Das, wofür er benutzt wird.

So erzählt die Kulturgeschichte viele kleine Geschichten. Von tragischen Helden, mythischen Heilsbringern, und korrupten Funktionären, von hart umkämpften und verschobenen Spielen, von „Sommermärchen“, „jogo bonito“ und einer globalen Gelddruckmaschine. Das alles ist anschaulich aufbereitet und durchwegs elegant und bewundernswert meinungsstark erzählt. Trotzdem stellt sich die Frage, an wen sich diese Kulturgeschichte des Fußballs wendet. Leser, die mit der Ent- und Verwicklung des Sports vertraut sind, jedenfalls finden wenig wirklich Neues. Den Verdacht, dass Zeyringer mit seiner umfangreichen Fleißarbeit vorrangig bekennende Fußballverweigerer im Blick hatte, bestätigt auch Bestseller-Autor Daniel Kehlmann. Der fand das Buch, laut Klappentext, gerade deshalb interessant, weil ihn Fußball eigentlich nicht interessiert. Kurzum: Klaus Zeyringer hat eine kenntnisreiche und gerade in WM-Zeiten ganz offensichtlich notwendige Handreichung für alle Kehlmänner dieser Welt geschrieben.

Studie. Klaus Zeyringer: „Fußball. Eine Kulturgeschichte“. S. Fischer, 440 Seiten, 23,70 Euro.