Der Zweite Teil des Ukraine-EU-Assoziierungsabkommens im Detail

Kiew/Brüssel (APA) - Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko wird am Freitag (27. Juni) auf dem Brüsseler EU-Gipfel den wirtschaftlichen...

Kiew/Brüssel (APA) - Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko wird am Freitag (27. Juni) auf dem Brüsseler EU-Gipfel den wirtschaftlichen und damit zweiten Teil des Assoziierungsabkommens mit der EU unterzeichnen. Damit sollen die Zölle zwischen der EU und Ukraine weitgehend fallen. Langfristig soll die Ukraine damit auch die Produktstandards der EU übernehmen, um auch Weltmarkt-Standards erfüllen zu können.

Poroschenko sieht in der Unterzeichnung den ersten Schritt zum EU-Beitritt der Ukraine. Russland drohte mit Handelsbeschränkungen. Den politischen Teil der Vereinbarung zwischen Brüssel und Kiew hatte die Übergangsregierung unter Ministerpräsident Arseni Jazenjuk am 21. März in Brüssel unterzeichnet. Im November 2013 hatte der prorussische Präsident Viktor Janukowitsch nach jahrelangen Verhandlungen die Unterzeichnung verweigert - Auslöser für die Maidan-Revolution und nach deren blutiger Niederschlagung schließlich für den Sturz von Janukowitsch.

Das Abkommen ist 1.200 Seiten dick und regelt alles vom Käse bis zu Maschinen, meldet die Agentur AP und gibt einen Überblick:

Handel:

98 Prozent der EU-Zölle und 99 Prozent der ukrainischen Zölle auf Produkte und Serviceleistungen fallen. Der Handel, die Schaffung von Arbeitsplätzen und das Wachstum sollen durch diese Erleichterungen angeregt werden. Ein Viertel der ukrainischen Exporte geht in die EU. Die ukrainischen Märkte sollen dagegen langsamer geöffnet werden, so gibt es etwa eine 15-jährige Übergangszeit für die ukrainische Autoindustrie. Die EU wahrte wiederum Restriktionen im Landwirtschaftsbereich.

Kostiantyn Bondarenko, Direktor des Instituts für Ukrainische Politik in Kiew, meinte bei einem Vortrag in der Vorwoche in Wien, die Ukraine verliere durch das Abkommen pro Jahr 2,5 Mrd. Euro, da die Zolleinnahmen gegenüber der EU wegfallen und der Warenaustausch mit Russland zurückgehen werde. Die möglichen Verluste würden aber in Anbetracht der vor dem Staatsbankrott stehenden Ukraine mit einer veralteten Industrie „nahezu lächerlich“ aussehen.

Bondarenko kritisierte jedoch die Zweiteilung des Assoziierungsabkommens als „Nonsens“. Seit 2005 habe es langwierige Verhandlungen mit Brüssel gegeben. 2012 sei das Abkommen paraphiert worden und seitdem habe es keine Möglichkeit für Änderungen gegeben.

Modernisierung:

Hand in Hand mit den Handelserleichterungen geht ein Zehnjahresplan für die Ukraine, EU-Produkt-Standards zu übernehmen. Das erleichtert auch den Weg Richtung Welthandel. Die EU-Vorschriften sollen auch für Regierungsverträge, Wettbewerbspolitik und Copyright-Schutz gelten. Das kann der Ukraine helfen, Korruption zu reduzieren und die Wirtschaft investitionsfreundlicher zu machen. Experten plädieren für einen grundlegenden Wandel der ukrainischen Wirtschaft.

Die technischen und gesundheitspolitischen Anforderungen der EU erfüllen zu können, wird allerdings Zeit in Anspruch nehmen. So haben Milch und Käse erst frühestens 2015 die Chance auf dem europäischen Markt aufzutauchen, meinen Beamte.

„Viele ukrainische Politiker haben kein Verständnis für die Modernisierungsthematik. Die Ukraine kann nur auf den russischen Markt exportieren oder in die Dritte Welt“, meint Bondarenko. Sogar Russland brauche die Werke in Luhansk und Donezk in der umkämpften Ostukraine nicht, in Russland gebe es auch rentablere Bergwerke. Kiew muss hohe Subventionen für den Kohlesektor leisten. Der industrielle Osten als Kohle- und Stahlrevier ist gleichzeitig auch der größte Nettoempfänger aus dem Haushalt.

Politik:

Russland hätte die Ukraine gerne in der Zollunion gemeinsam mit Weißrussland und Kasachstan gesehen. Die Zolleinnahmen wären dabei der Ukraine verblieben, dafür hätte Russlands Präsident Wladimir Putin den ukrainischen Präsidenten und Premier diktieren dürfen, so Bondarenko. „Das hätte zum Entstehen eines riesigen transnationalen Konzerns geführt. Putin hat Zollgebühren für politische Einflussnahme geopfert.“

Dementsprechend abgeneigt ist Russland gegenüber dem EU-Assoziierungsabkommen, das Kiew anstrebt. Russland war 2013 weiter der erste Handelspartner für die Ukraine, für Russland war die Ukraine der drittgrößte. 34 Mrd. US-Dollar betrug der bilaterale Warenaustausch im Vorjahr laut Bondarenko. Russland bestimme den Erdgaspreis für die Ukraine, und kontrolliere damit indirekt jene Bereiche der Ukraine, die für das BIP-Wachstum verantwortlich sind. Bei einem hohem Gaspreis würden etwa Produkte der chemischen Industrie unrentabel.

Die Ukraine ist damit auch vom russischen Willen abhängig. So blockierte Russland heuer etwa die Einfuhr von ukrainischem Käse, offiziell wegen Qualitätsmängel, Experten sahen dahinter jedoch politische Gründe. Wenn die Ukraine das Abkommen mit der EU unterschreibt, könnte Russland wieder höhere Produktzölle einführen.

Die Beziehung mit Russland könnte insgesamt wieder verschärft werden. „Wenn man den Kopf verloren hat, braucht man nicht um die Haare trauern“, kommentierte Bondarenko. Es gebe jedoch informelle Signale aus Russland, dass es bereit wäre, die wirtschaftlichen Kontakte zu forcieren, wenn die Ukraine neutral bleibe und einen NATO-Beitritt ausschließt. „Die Beziehung ist mehr durch Politik als Wirtschaft gekennzeichnet.“

Experten begrüßen die „externe Disziplin“ und die Vorgaben für das Land durch das EU-Assoziierungsabkommen, um die notwendigen Reformen umsetzen und auch gegenüber der eigenen Bevölkerung leichter begründen zu können. Modernisierungsversuche des noch von Sowjetstrukturen geprägten Systems scheiterten in der Vergangenheit meist noch bevor sie überhaupt zu Ende gedacht waren. Die von Kohle, Stahl und Maschinenindustrie dominierte Ukraine möchte ein zweites Polen werden, das der EU bereits 2004 beitrat und heute etwa vier mal reicher als die Ukraine ist. Das Abkommen mit der EU soll nun den Weg dahin öffnen.

( 0765-14, Format dreispaltig)