Vom Horror in der Umkleidekabine und möglichen Gegenstrategien

Stuttgart (APA/dpa) - Wenn Erniedrigung ein Ort wäre, läge er hinter einem zugezogenen Vorhang: unerbittliches Licht, stickige Luft und die ...

Stuttgart (APA/dpa) - Wenn Erniedrigung ein Ort wäre, läge er hinter einem zugezogenen Vorhang: unerbittliches Licht, stickige Luft und die drängelnde Frage der Verkäuferin: „Passt es?“ Experten zufolge ist die Umkleidekabine der am meisten vernachlässigte Teil in vielen Geschäften. An Projekten zur Abhilfe wird geforscht. Es geht vor allem in Richtung Virtualität und Interaktivität.

„Der schlimmste Fauxpas ist die Beleuchtung“, sagte Andreas Steinle, Geschäftsführer des Zukunftsinstituts in Frankfurt am Main. „Der Horror ist die Cellulite, die man an sich bemerkt - und die Falten.“ Dank Vorhängen, die sich irgendwie nie ganz zuziehen lassen, sehen solche Makel dann auch die Kunden in der Warteschlange. „Es ist nur eine Frage der Zeit, dass sich das ändert“, kündigte der Trendforscher an. Erste Ideen würden bereits entwickelt.

Abhilfe könnte zum Beispiel von einem Wirtschaftsinformatiker kommen: An der Uni Erlangen-Nürnberg forscht Doktorand Christian Zagerl an einer interaktiven Kabine namens „Cyberfit“. „Die Idee war, die Emotionen, die ein Mensch mit einem Produkt verbindet, rüberzubringen“, sagte der 32-Jährige. Seine Erfindung soll erkennen, welches Kleidungsstück ein Kunde anprobiert - und passend dazu einen Hintergrund an die Wand werfen. „Bei einer Outdoor-Jacke wäre das zum Beispiel eine Berglandschaft mit Vogelgezwitscher.“ Dazu kommen Infos rund um das Produkt samt Einblendungen, was dazu noch passen könnte. Das Projekt wurde auf der Computermesse CeBIT mit einem Innovationspreis ausgezeichnet.

Vorschläge nach dem Motto „Das könnte Ihnen auch gefallen“? klingen nach Internet-Shopping. „Der Online-Handel ist Taktgeber für den stationären Handel“, bestätigte Zukunftsforscher Steinle. „Dort sind genau diese Techniken schon im Einsatz.“ Tatsächlich haben virtuelle Shopping-Berater Einzug in erste Ankleidekabinen gehalten: Im Berliner Karl-Lagerfeld-Store etwa können sich Kunden mit einem Tablet-Computer selbst beim Probieren fotografieren - und ihre Auswahl dem Urteil der Facebook-Gemeinde aussetzen. „Man kann sich damit auch ins rechte Licht rücken und es zum Beispiel in schwarz-weiß oder mit Rahmen aufnehmen“, erklärte Store-Manager Thomas Pohle. Auf dem Foto tauche das Logo von Karl Lagerfeld auf. So wird der Service auch zur Werbung für den Hersteller.

„Klar ist: Die Leute wünschen sich Feedback“, sagte Steinle. Das müsse in der Umkleidekabine besser organisiert werden - in welcher Form auch immer. „Es wird nicht die eine Umkleide geben, sondern eine Vielfalt. Es muss zu der Marke passen.“ Das macht derzeit der Textil-Discounter Primark vor: Er hat in Köln eine Gruppenkabine für Frauen eingeführt - und damit die Träume junger Mädchen wahr gemacht, die sich bisher nie mit Freundinnen zusammen in eine Kabine zwängen durften.

Virtuelle Modeberater wird man bei Discountern aber wohl noch lange suchen, wie aus einer Experten-Befragung der Hochschule der Medien in Stuttgart hervorgeht. Demnach halten Branchenkenner solche Extras vor allem in günstigen Modegeschäften in den kommenden Jahren für sehr unwahrscheinlich. Auch das grelle Neonlicht dürfte Einkäufern noch eine Weile erhalten bleiben: Fachleute rechnen demnach nicht damit, dass Kunden bis 2020 selbst das Licht nach ihrem Geschmack dimmen können. Bei der Modemarke Hollister hingegen ist es in den Anproberäumen so dunkel, dass man Falten nicht erkennt - ob das T-Shirt nun blau oder schwarz ist allerdings auch nicht. Die Hipster-Modekette Kauf dich glücklich hängt in den Kabinen erst gar keine Spiegel auf.

(S E R V I C E - CeBIT-Preis für Christian Zagel: http://dpaq.de/dYU0L - Karl-Lagerfeld-Store Berlin: http://dpaq.de/gwrQs - Studie der Hochschule der Medien: http://dpaq.de/vlbBy - Kauf dich glücklich: http://dpaq.de/6C1gV)