„Das Attentat hatte mich nicht so bewegt“
Die Tiroler trauerten nicht besonders um Franz Ferdinand. Noch viel weniger erwarteten sie wegen des Attentats einen Krieg.
Von Christoph Mair
Innsbruck –Auf dem 2067 Meter hohen Gipfel des späteren Olympiaberges Bjelasnica südwestlich von Sarajevo erhielt Erwin Simbriger am Abend des 28. Juni 1914 die Nachricht von der Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers und seiner Frau.
Der Innsbrucker gehörte als Reservist einem k.u.k. Infanterieregiment an und war mit diesem für die Kaisermanöver, die auch Franz Ferdinand besuchte, in Bosnien stationiert. Obwohl er zunächst wie wahrscheinlich viele Zeitgenossen geschockt auf die Nachricht reagierte, vertraute er seinem Tagebuch später an, dass ihn das Attentat „seelisch nicht so bewegt“ habe, wie es von einem „braven Staatsbürger“ zu erwarten sei. Offenbar war Simbriger kein Einzelfall. „Die Erschütterung über das Attentat war enden wollend“, sagt die Historikerin Gunda Barth-Scalmani von der Universität Innsbruck, die sich mit der Stimmung in Tirol im Sommer 1914 beschäftigt. Franz Ferdinand sei in weiten Kreisen des deutschsprachigen liberal-großdeutschen städtischen Bürgertums nicht sonderlich beliebt gewesen, weil er die streng katholische Seite der Monarchie verkörperte. In der Hofgesellschaft war er wegen seiner nicht standesgemäßen Ehe mit Sophie Chotek von Chotkowa wenig angesehen und die Ungarn befürchteten bei seiner Machtübernahme Nachteile durch eine Änderung des dualistischen Staatsaufbaus und ihrer Vorrechte. „Franz Ferdinand war auch kein Medienliebling“, folgert Barth-Scalmani aus dem Studium von Zeitungen.
Interessant sei dabei, dass nach dem Attentat eine vermutlich gesteuerte Berichterstattung eingesetzt habe, um den ermordeten Erzherzog u. a. als liebevollen Familienvater in einem positiven Licht zu zeichnen und die Gleichgültigkeit der Bevölkerung abzufangen.
Bei den Trauerfeiern für dasThronfolgerpaar erwies sich das katholische Tirol als durchaus einfallsreich. So seien die bevorstehenden Schulschlussgottesdienste zu öffentlichen Trauerfeiern besonders für die Schulkinder ausgebaut bzw. umfunktioniert worden, sagt die Geschichtswissenschafterin. Auch israelitische sowie lutherische Gemeinde gedachten der Verstorbenen.
Zum offiziellen Gedenkgottesdienst sei in den Zeitungen die Meldung verlautbart worden, dass wegen des Platzmangels in der Hofkirche nur offizielle Repräsentanten zugelassen seien. Zeuge dieser Feier sei auch ein englischer anglikanischer Pastor geworden. Jedenfalls sei wenige Tage später in der London Times ein Bericht über die offenbar sehr ergreifende Messe erschienen, in dem der Gast anregte, die Kaiserhymne aus Solidarität mit der Doppelmonarchie auch in England erklingen zu lassen. Bizarr beim Gedanken, dass Großbritannien wenig später Kriegsgegner Österreich-Ungarns war. Doch unmittelbar nach dem Attentat habe es noch kaum jemand für möglich gehalten, dass es Anlass für einen militärischen Konflikt, gar einen Weltkriegsein könnte. Dazu passten laut Barth-Scalmani auch die Zeitungsmeldungen, wonach sich die öffentlichen Repräsentanten, in Tirol z. B. Statthalter Graf Toggenburg, in den Urlaub verabschiedeten. Ferienstimmung, die erst umschlug, als das Ultimatum an Serbien formuliert wurde, und sich steigerte, als es abgelehnt wurde. Die Innsbrucker Nachrichten hätten am 25. Juli, dem Tag der Antwort Serbiens, eine Art Live-Ticker installiert und mit einem Projektor die einlaufenden Telegramme an die Außenwand der Redaktion projiziert, erzählt die Historikerin. Nervosität habe sich breitgemacht. Eine Nervosität, die in die Katastrophe führte.