Mini-Max-Strategie brachte kürzere Arbeitszeit in Deutschland

Stuttgart (APA/dpa) - Der Kampf um die Arbeitszeitverkürzung war einer der härtesten Auseinandersetzungen in der Geschichte der Metallindust...

Stuttgart (APA/dpa) - Der Kampf um die Arbeitszeitverkürzung war einer der härtesten Auseinandersetzungen in der Geschichte der Metallindustrie. Der damalige Gewerkschaftschef Eisenmann war mittendrin und setzte die Arbeitgeber mit seiner Mini-Max-Strategie unter Druck - mit Erfolg.

Vor 30 Jahren schrieb der damalige baden-württembergische IG-Metall-Chef Ernst Eisenmann Tarif-Geschichte. Er setzte nach fast sieben Wochen Streik im Tarifbezirk Nordwürttemberg/Nordbaden und Hessen den Einstieg in die 35-Stunden-Woche durch, die dann 1995 Wirklichkeit wurde. „Damit haben wir einen großen Beitrag im Kampf gegen die damalige Massenarbeitslosigkeit geleistet“, sagt der 86-Jährige der Nachrichtenagentur dpa in Stuttgart. Kündigungen und Kurzarbeit seien verhindert, neue Stellen geschaffen worden.

Frage: Wie haben Sie den Streik angelegt?

Antwort: „Damals verfügte die IG Metall über nur 500 Millionen Mark (rund 256 Mio. Euro) in der Streikkasse, die Unternehmen hatten dagegen Milliarden auf der hohen Kante. Da hieß es: Mit minimalem Einsatz größtmögliche Wirkung erzielen. Deshalb haben wir lediglich 13.000 Mitarbeiter in sechs Zulieferbetrieben für die Autoindustrie rausgenommen - und damit innerhalb von einer Woche die gesamte Branche im Südwesten lahmgelegt. Die Unternehmen hatten ja keine Lagerhaltung mehr.“

Frage: Würde eine solche Strategie heute noch Wirkung zeigen?

Antwort: „Nein, der Vorteil lag damals darin, die Arbeitgeber überrumpeln zu können. Danach haben sie die Abhängigkeit von wenigen Firmen aufgegeben und sich auch außerhalb Baden-Württembergs und Deutschlands Zulieferer gesucht.“

Frage: Wie haben Sie die fast sieben Wochen Streik erlebt?

Antwort: „Das war sehr anstrengend. Wir haben jeden Tag eine Streikzeitung erstellt, die Tarifkommission, den Vorstand und die Streikleitung über die Lage unterrichtet, und auch bis zur Schlichtung mehrfach verhandelt, allerdings ohne Ergebnis. In dieser Zeit hatte ich nicht mehr als vier Stunden Schlaf pro Nacht.“

Frage: Wie hat sich die Aussperrung von Beschäftigten ausgewirkt?

Antwort: „Nach der Rechtsprechung konnten nur dreimal so viel Arbeiter ausgesperrt werden wie Streikende, also rund 40.000. Es waren aber 100.000, da die Unternehmen wegen fehlender Zulieferungen keine Arbeit mehr für sie hatten. Diese Menschen bekamen kein Streikgeld von der Gewerkschaft und auch kein Kurzarbeitergeld von den Arbeitsämtern. Wir haben dann erfolgreich gegen die Bundesanstalt für Arbeit geklagt und erreicht, dass den Ausgesperrten Geld gezahlt wurde. Bei so einem Arbeitskampf bringen die Arbeitnehmer Opfer, zumal die Streikenden nur 70 Prozent ihres Lohns ersetzt bekamen. Manche mussten ihre Ersparnisse anknabbern oder Urlaube streichen. Deshalb habe ich in der darauffolgenden Tarifrunde für mehr Entgelt plädiert, statt den nächsten Schritt der Arbeitszeitverkürzung zu gehen.“

Frage: Wie war der Weg zur Schlichtung?

Antwort: „Die Arbeitgeber haben signalisiert, dass sie eine Arbeitszeitverkürzung von etwa einer Stunde für Schicht- und Gießereiarbeiter mittragen könnten. Wir konnten aber nicht akzeptieren, dass 80 Prozent der Beschäftigten leer ausgehen sollten. In einem Vier-Augen-Gespräch habe ich von einem hochrangigen Vertreter der Arbeitgeber die Zusage bekommen, dass diese zu Zugeständnissen bereit seien. Damit diese ihr Gesicht wahren konnten, haben wir uns auf eine Schlichtung geeinigt. Es musste bald eine Lösung gefunden werden, da auch der Unmut unter den Streikenden zunahm. Meine größte Angst war, dass sich die Streikkasse leeren könnte und ich kapitulieren müsste.“

Frage: Wie ist die Schlichtung verlaufen?

Antwort: „Wir wollten den ehemaligen Verkehrs- und Verteidigungsminister Georg Leber (SPD) als Schlichter, weil er auch im Arbeitgeberlager gut vernetzt war. Der damalige Vorsitzende der IG Metall, Hans Mayr, fuhr extra nach Italien, wo Leber sich vom Tod seiner Frau erholte. Leber willigte ein, sofern er das Stimmrecht in der zweiköpfigen Schiedskommission haben durfte. Die Schlichtung gelang am 28. Juni und sah vor, dass die durchschnittliche Arbeitszeit der Beschäftigten eines Betriebes von April 1985 an nur noch 38,5 Stunden - statt wie bisher 40 Stunden - betragen durfte. Nach mehreren Stufen konnten die Metaller dann 1995 nach 35 Stunden Arbeit ins Wochenende gehen.“

Frage: Wie haben Sie sich damals von dem Stress erholt?

Antwort: „Der Abschluss war zwar der Höhepunkt meiner beruflichen Karriere, aber die Anspannung ist nicht spurlos am mir vorbeigegangen. Seitdem leide ich unter Herzrhythmusstörungen. Damals musste ich zunächst mal raus aus dem Geschäft und habe in Niederösterreich Verwandte besucht. Denen haben ich bei der Heuernte geholfen.“

Zur Person: Der Werkzeugmacher Ernst Eisenmann war zwischen 1983 und 1988 als Nachfolger von Franz Steinkühler Chef der baden-württembergischen IG Metall. Zuvor hatte er in der Bezirksleitung als Tarifsekretär gearbeitet. Der Sohn eines Waldarbeiters und einer Hausfrau aus dem Welzheimer Wald hält seiner Gewerkschaft seit 65 Jahren die Treue. Er ist Vater eines Sohns und hat zwei Enkel und wohnt heute in einem Seniorenheim.