WM 2014

„Doppelsechs“ und „falsche Neun“

Fußball-Weltmeisterschaften sind auch Festtage der Phrasen – das verbale Hantieren mit neu geschaffenen Codewörtern zieht die Reporter in ihren Bann und bringt den Leser und Zuhörer mitunter „auf die Palme“.

Aus Recife: Hubert Winklbauer

Recife –Sie werden sagen, der kann doch weder Portugiesisch noch Spanisch, Niederländisch oder Italienisch. Und erst recht nicht Japanisch. Und ich werde sagen: Englisch kann ich nur relativ gut. Oder schlecht. Und sogar im Deutschen plage ich mich hin und wieder. Und dennoch können Sie mir glauben: Die internationale Phalanx der Phrasendrescher ist sich nähergekommen, hat sich gegenseitig inspiriert, hat einen Siegeszug rund um die Welt angetreten. Sie reden hier in Brasilien in den Übertragungskabinen wie in Österreich. Die Beliebigkeit hat einen Siegeszug angetreten. Das phraseologische Hantieren mit den meist von Fußball-Lehrern neu geschaffenen Codewörtern hat Hochsaison in all ihrer Pseudowichtigkeit und ihrer Bedeutungslosigkeit. Man könnte sagen, die Sportreporter haben den Politikern den Rang am wichtig vorgetragenen Blabla abgelaufen.

Anpfiff zur Hohlphraserei: Im Fußball nehmen sich alle Trainer vor, „auf Sieg zu spielen“ und „ein frühes Tor zu erzielen“. Aber sie wissen auch, dass „die Tagesform entscheiden wird“ – und wohl auch, wer „dem riesigen Erwartungsdruck“ besser standhält. Beide Teams haben ein ähnliches Konzept: Beide „machen die Räume eng“, setzen auf „aggressives Gegenpressing“, „frühe Ball­eroberung“ und „schnelles Umschaltspiel“. Im Mittelfeld geht kaum mehr etwas ohne die „Doppelsechs“. Aber wichtig ist es da wie dort, dass man „hoch verteidigt“, „die Bälle vertikal durchsteckt“ – und zwar genau in den „Laufweg“ des „falschen Neuners“ und mithilfe eines präzisen „finalen Passes schnell den Abschluss sucht“. Wegen der Ähnlichkeit beider Konzepte war die Partie lange „von Taktik geprägt“.

Die torgeilen Reporter befinden, „sie müssen mehr über die Außen kommen“, denn „ein Tor würde dem Spiel gut tun“ – und prompt fällt es dann – allerdings „auf der falschen Seite“ – und „es stellt den Spielverlauf auf den Kopf“, noch dazu „zu einem ungünstigen Zeitpunkt“. Damit „wirft es das Konzept des Trainers über den Haufen“, der gefordert hatte: „Hinten muss die null stehen.“

Aber nach einer „lautstarken Kabinenpredigt“ des Coaches, seiner geglückten taktischen Mittelfeld-Umstellung auf die „Raute“ und der Hereinnahme eines „Stoßstürmers“, „geht ein Ruck durch die Mannschaft“, seine Jungs beweisen plötzlich „mentale Stärke“, „sind voll auf den Erfolg fokussiert“, „gibt jeder 110 Prozent“. Sie „finden über den Kampf ins Spiel“, „drücken diesem nun den Stempel auf“, „drehen das Match“ – und damit werden sie „am Ende des Tages“ in diesem „Sechspunktespiel“ doch noch „belohnt“. Im Finish „verwalten“ sie dann „mit gefühlten 70 Prozent Ballbesitz“ den knappen Vorsprung, können aber, weil sie es verabsäumten, „den Sack vorzeitig zuzumachen“, nach dem „glanzlosen Arbeitssieg“ letztlich doch nur „mit dem Ergebnis zufrieden sein“.

Aber: „Nach dem Wie fragt in drei Wochen sowieso keiner mehr“, schließlich „geht es hier um keinen Schönheitspreis“. Natürlich war es „der Joker“, mit dessen Eintausch der Trainer „ein goldenes Händchen bewiesen hat“. Ein Stürmer eben, „der weiß, wo das Tor steht“. Aber der Coach „tritt sofort auf die Euphoriebremse“. Noch ist ja „nichts erreicht“ und Fehler in der K.o.-Phase werden ab sofort „doppelt bestraft“. Jetzt geht es „um alles“. Oder nichts.

Und in 14 Tagen? Gibt es wohl einen „verdienten Weltmeister“ und wohl auch einen „Weltmeister der Herzen“.