Internationale Pressestimmen zu Juncker als EU-Kommissionspräsident
Brüssel (APA/dpa/AFP) - Die Nominierung des luxemburgischen Ex-Ministerpräsidenten Jean-Claude-Juncker als künftiger EU-Kommissionspräsident...
Brüssel (APA/dpa/AFP) - Die Nominierung des luxemburgischen Ex-Ministerpräsidenten Jean-Claude-Juncker als künftiger EU-Kommissionspräsidenten gegen den Willen des britischen Premiers David Cameron und Ungarns Regierungschef Viktor Orban durch die anderen EU-Staats- und Regierungschefs kommentieren die Zeitungen wie folgt:
„The Independent“ (linksliberal, London):
„Die Kandidatur des ehemaligen Premierministers von Luxemburg, Juncker, hat kaum Begeisterung geweckt, auch nicht bei höhergestellten Eurokraten. Er ist das lebende Symbol all dessen, was in der EU heute überholt und nicht mehr aktuell ist, und auch (die deutsche Bundeskanzlerin) Angela Merkel war kaum beeindruckt von seinem Management der Euro-Krise. Doch Cameron hat in einem gewaltigen politischen Fehlkalkül die Gleichgültigkeit und Abneigung in fast einhellige Unterstützung verwandelt. Dabei hat er sich in eine Ecke manövriert, wo ihm nur der autoritäre Premierminister Ungarns, Viktor Orban, zur Seite stand. Wenn hinter diesem Reinfall irgendeine Strategie stand, dann war sie kaum zu erkennen.“
„De Telegraaf“ (Amsterdam):
„Die Entscheidung für Juncker wurde dargestellt als Entscheidung für einen Kandidaten der Demokratie. Doch im Wesentlichen ist der Mann ein Repräsentant des europäischen Luftballons, der aufgeblasen wird bis er platzt. Werden die Briten diesen Ballon nun aufstechen? Oder geschieht das durch den Euro? Natürlich hat Europa große Vorteile: Frieden und Sicherheit, auch der Binnenmarkt. Aber danach hört es schnell auf. Mit Juncker kommt kein neuer Realismus. Der ist nun weiter weg denn je.“
„La Croix“ (Paris):
„Die Ernennung des Christdemokraten Jean-Claude Juncker zum EU-Kommissionspräsidenten ist ein Ereignis. Erstmals in der Geschichte der EU wurden die Ergebnisse der Europawahl bei der Vergabe dieses wichtigen Postens direkt berücksichtigt. Diese ungewohnte Änderung der üblichen Praxis, bei der die Staats- und Regierungschefs im geschlossenen Kreis das Monopol der Wahl behielten, hat ein Opfer gekostet: David Cameron. Der britische Premier hat nicht den neuen Gemeinschaftsgeist der Europaparlamentarier miteinkalkuliert. Die wichtigsten Parteien waren entschlossen, ihre zerbrechliche Legitimität durchzusetzen. Cameron muss erkennen, dass man in Europa Mehrheiten oder Sperrminoritäten bilden muss, um seine Vorstellungen durchzusetzen. Es reicht nicht, nur nationale Interessen zu verteidigen.“
„Stuttgarter Zeitung“:
„Angela Merkel ist in Europa nicht geschwächt. Wohl aber sieht sie sich einem neuen Umfeld gegenüber. Renzis (italienischer Permier, Anm.) Auftreten zeigt dies. Merkels Alleinherrschaft ist vorüber. In Brüssel wie in Berlin regiert nun eine große Koalition. Das zwingt zu Kompromissen. Jean-Claude Juncker ist da als Mann des Ausgleichs vielleicht gar nicht der schlechteste Kommissionspräsident. Personelle Alternativen hat ja selbst Cameron nie genannt.“
„Leipziger Volkszeitung“:
„Europa kann eben nicht nur bedeuten, dass die Wirtschaft flutscht, sondern Europa muss auch da sein für seine Menschen. Deutschland ist bisher mit Merkels eiserner Sparpolitik fast ohne Blessuren durch die europäische Finanzkrise gekommen. Aber andere kleinere Länder, die nicht unsere Wirtschaftskraft haben, sind in die Knie gegangen. Es ist toll, wenn eine Regierung sich eines ausgeglichenen Haushalts rühmen kann, aber was nützt das, wenn die privaten Haushalte dabei verarmen? Politik ist auch für die Zirkulation des Geld zuständig, aber in erster Linie für das Wohl der Bürger. Jean-Claude Juncker tritt kein leichtes Amt an. Wünschen wir ihm eine glückliche Hand!“