Weniger Faust als Fritzl: Birgit Minichmayr beeindruckt in München
München (APA) - „FaustIn and out“ heißt ein 2011/12 von Elfriede Jelinek verfasstes „Sekundärdrama zu Urfaust“. Dusan David Parizek ließ 201...
München (APA) - „FaustIn and out“ heißt ein 2011/12 von Elfriede Jelinek verfasstes „Sekundärdrama zu Urfaust“. Dusan David Parizek ließ 2012 die Uraufführung in Zürich auf der Unterbühne spielen, während oben „Faust“ gegeben wurde. Wie er vergab auch Philip Jenkins in Graz beide Rollen an Frauen. Johan Simons macht in München nun klar: Es geht in dem Stück um männliche Unterdrückung, mehr um Fritzl als um Faust.
Zwei Fernsehapparate und zwei Fernsehsessel wünschte sich Jelinek für ihre beiden „Einpersonenchöre“ namens GeistIn und FaustIn. Bühnenbildnerin Muriel Gerstner hat dagegen in dem zum Residenztheater gehörenden Cuvilliéstheater, dem schönsten Rokokotheater Deutschlands, die Bühne mit einer Ziegelwand zugemauert. Auf einem quer liegenden Mauerstein kann man mühsam eine eingemeißelte Inschrift entziffern: „Gewesen worden sein“. Zwei leicht schief sitzende, von steinernen Rahmen umgebene Fenster sind die minimalen Spielflächen für zwei Personen, die nach dem Wetterhäuschen-Prinzip für ihre Monologe auftauchen.
Oliver Nägele hat als massiger, schwitzender, männlicher Fleischberg zunächst das alleinige Sagen - herrisch, selbstgewiss, usurpatorisch. Ein selbst ernannter Gott. In der Fensteröffnung daneben kauert eine blasse, blonde junge Frau. Erst spät beginnt sie stockend zu sprechend, ebenso mühsam wird sie sich aufrichten und dabei ein cremefarbenes Reifrock-Kleid mit Schleifchen sehen lassen. Ihre Muskeln sind ebenso eingerostet wie ihre Stimme, auch ihr Verstand muss erst mühsam wieder Tritt fassen. In ihrem Kellerverlies gibt es weder Entkommen noch Bewegung.
Die Regie von Johan Simons und die Textfassung von Sebastian Huber lassen nie den geringsten Zweifel aufkommen: Hier hat das grausame Verbrechen, bei dem ein Familienvater in Amstetten seine Tochter 24 Jahre in einem Keller gefangen gehalten hat, sie vielfach vergewaltigte und mit ihr Kinder zeugte, auf die Bühne gefunden. Nur selten hört man Anspielungen an die Gretchentragödie heraus, manchmal in kurzen Zitat-Anspielungen, am deutlichsten, als - „jetzt schon?“ - die Frage der Religion verhandelt wird.
Erstaunlich, wie häufig anfangs noch bei den frauenfeindlichen Auslassungen des Mannes, der sich als pater familias auch zum Herrn über Leben und Tod aufschwingt, gelacht wird. Doch mit Fortdauer der rund 110-minütigen Aufführung vergeht dem Publikum das Lachen. Immer unerträglicher wird die Machtverteilung, die dem Opfer keine Chance lässt. „Mein Außen gehört dem Papa. Mein Innen gehört dem Papa. Alles gehört dem Papa.“ Erst ganz am Ende nähert sich der Vater seiner Tochter und taucht in deren Fenster auf: „Freiheit! Ich lasse dich nicht. Ich lasse dich nicht. Soviel ist Freiheit, dass man nichts lässt, sondern nur gelassen wird. Ich bin ganz gelassen.“
Wenngleich man sich einen deutlichen, schlüssigeren Bezug zwischen dem Goethe-Drama und der Amstetten-Tragödie gewünscht hätte, so ist es Johan Simons dank zweier hervorragender Darsteller jedenfalls gelungen, seine im Programmheft geäußerte These eindrucksvoll unter Beweis zu stellen: „Die Texte von Elfriede Jelinek muss man mit dem Körper spielen. Nicht in erster Linie mit dem Kopf, wie man vielleicht denken könnte, weil es in ihnen so viele Worte gibt und keine Handlung. (...) Ihre Texte sind, das merke ich immer wieder, musikalisch-körperliche Texte.“ So körperlich, dass es immer wieder wehtut.
Dem Münchner Kammerspiel-Intendanten, der bei den Wiener Festwochen kürzlich mit einer zahnlosen, artifiziellen Inszenierung von Jean Genets „Die Neger“ enttäuschte, ist mit „FaustIn and out“ eine beeindruckende und intensive Arbeit gelungen. Langer Applaus und einige Bravos für Minichmayr und Nägele.
(S E R V I C E - „FaustIn and Out“ von Elfriede Jelinek, Regie: Johan Simons, Bühne: Muriel Gerstner, Kostüme: Anja Rabes, Mit Birgit Minichmayr - FaustIn, Oliver Nägele - GeistIn, Residenztheater München, Nächste Vorstellungen: 29.6., 4., 12., 16.7., Karten: Tel 0049 / 89 / 2185 1940, www.residenztheater.de)
(B I L D A V I S O - Bild-Downloads im Pressebereich von www.residenztheater.de)