Bereits über 500 Tote in Gaza, Raketen auf Tel Aviv
„Wir rufen alle Seiten auf, alles Notwendige zum Schutz der Zivilisten zu tun“, erklärte Eugene-Richard Gasana, UN-Botschafter Ruandas und Sicherheitsratspräsident, am späten Sonntagabend (Ortszeit) in New York.
Gaza/Jerusalem - Israelische Soldaten liefern sich weiter heftige Kämpfe mit bewaffneten Palästinensern im Gazastreifen. Bei Kämpfen in dem dicht bewohnten Viertel Sajaiya in Gaza seien in der Nacht zehn bewaffnete Hamas-Mitglieder getötet worden, sagte der israelische Militärsprecher Peter Lerner am Montag.
Bei einem israelischen Luftangriff auf ein Haus im Zentrum der Stadt Gaza sind nach palästinensischen Angaben acht Menschen getötet worden. Die Hälfte davon seien Kinder, teilten die örtlichen Rettungsdienste am Montag mit.
Mehrere Tote bei Beschuss eines Krankenhauses
Zuvor hieß es von palästinensischer Seite, bei israelischem Artilleriebeschuss eines Krankenhauses im zentralen Gazastreifen seien vier Menschen getötet und etwa 50 verletzt worden. Nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf Retter sollen es sogar fünf Todesopfer gewesen sein. Ein Großteil der Opfer gehörten zum medizinischen Personal, sagte der Leiter der Rettungsbehörden im Gazastreifen, Aschraf al-Kidra, am Montag. Sanitäter, Krankenschwestern und Ärzte in der Al-Aksa-Klinik in Dir el Balah hätten Verletzungen erlitten, als das Krankenhaus unter Beschuss geriet.
Eine Militärsprecherin in Tel Aviv sagte, man prüfe den Bericht. In den vergangenen Tagen hat israelische Artillerie mehrfach Gebiete im Gazastreifen beschossen, bevor dorthin Bodentruppen vorrückten.
Bereits 526 Tote seit Beginn der Offensive
Der bewaffnete Flügel der im Gazastreifen herrschenden Hamas teilte mit, es gebe Feuergefechte mit der Armee im nördlichen, östlichen und zentralen Gazastreifen. Die Organisation bekannte sich auch zu Raketenangriffen auf Israel. Sie bestätigte, zehn ihrer Mitglieder seien bei einem heftigen Gefecht mit israelischen Soldaten im Norden des Gazastreifens getötet worden.
Die Zahl der getöteten Palästinenser seit Beginn der israelischen Offensive vor fast zwei Wochen stieg am Montag auf 526, wie die Rettungsbehörden mitteilten. Mehr als 3.200 Menschen seien verletzt worden. Dem stehen bisher 20 israelische Tote gegenüber.
Raketenalarm in Tel Aviv
Auf der israelischen Seite kamen bisher 18 Soldaten und zwei Zivilisten ums Leben. Rund 80 israelische Soldaten wurden nach Angaben des israelischen Rundfunks bei den Kämpfen verletzt.
Erstmals seit drei Tagen haben militante Palästinenser im Gazastreifen am Montag wieder den Großraum Tel Aviv mit Raketen angegriffen. Im Stadtzentrum heulten am heutigen Montag zweimal in Folge die Warnsirenen. Es waren Explosionen zu hören. Nach Angaben der Armee wurden zwei Geschosse von der Raketenabwehr über der Mittelmeermetropole abgefangen. Zuletzt hatte es am Freitagabend Raketenalarm in Tel Aviv gegeben.
Mehrere Kinder unter den Opfern
Bei einem israelischen Luftangriff in Rafah im südlichen Gazastreifen kamen nach palästinensischen Angaben neun Mitglieder einer Familie ums Leben. Unter den Opfern seien vier Minderjährige, teilten die Rettungsbehörden am Montag mit. Bei dem Angriff auf das Haus der Familie Siam seien auch mehrere Menschen verletzt worden.
In Sajaiya seien mehrere Tunnel gefunden worden, sagte Lerner. Ein palästinensischer Selbstmordattentäter habe die Truppen angegriffen. Es seien auch Panzerabwehrraketen gegen die Soldaten eingesetzt worden. Die Armee habe seit Beginn des Bodeneinsatzes am Donnerstagabend 20 Palästinenser festgenommen.
UN-Sicherheitsrat fordert Schutz von Zivilisten
Nach den zunehmenden Kämpfen hat der UNO-Sicherheitsrat eine Feuerpause und den Schutz von Zivilisten gefordert. „Wir sind sehr besorgt um die Zivilisten im Kampfgebiet“, so Ruandas UN-Botschafter Eugene-Richard Gasana, in diesem Monat Präsident des Rates, am späten Sonntagabend (Ortszeit) in New York. „Wir rufen alle Seiten auf, alles Notwendige zum Schutz der Zivilisten zu tun.“
Der Rat forderte zudem eine sofortige Einstellung aller Feindseligkeiten. Gasanas amerikanische Kollegin Samantha Power sagte, nur mit einer Feuerpause könne die Gewalt enden. Dann könne auch konkret den Menschen im Kampfgebiet geholfen werden. Power lobte wie schon vor ihr Gasana die Vermittlungen Ägyptens. Neben den USA drängen auch Ägypten, Katar und Frankreich auf eine diplomatische Lösung zur Beendigung der schlimmsten Kämpfe seit fünf Jahren. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon wollte am Montag in Katar den palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas sowie hochrangige Vertreter der Hamas treffen. In Doha hatte Ban die Kämpfe im Gaza als eine offene Wunde bezeichnet und gefordert: „Wir müssen das Blutvergießen jetzt stoppen.“ Ban wird der UNO zufolge in den kommenden Tagen auch Kuwait, Ägypten, Israel, die Palästinensergebiete und Jordanien besuchen.
Zuvor hatte das mächtigste UN-Gremium zwei Stunden hinter verschlossenen Türen getagt. Eilig einberufene Sondersitzungen des UN-Sicherheitsrates kommen zwar immer wieder vor. Eine Sitzung am späten Sonntagabend ist aber ungewöhnlich. Gleich im Anschluss tagte der Rat noch zum Flugzeugabsturz über der Ostukraine.
Israel: Kein Soldat von Hamas verschleppt
Israels UNO-Botschafter Ron Prosor hat indes die von der Hamas verkündete Gefangennahme eines israelischen Soldaten dementiert. „Diese Gerüchte sind unwahr“, sagte Prosor am Sonntagabend (Ortszeit) am Rande der Sicherheitsratssitzung. Es befinde sich kein israelischer Soldat in der Gewalt der Hamas.
Pressestimmen vom Montag
„Hospodarske noviny“ (Prag)
„Der Krieg im Gazastreifen lässt sich mit vielen Schlagwörtern beschreiben, aber eines scheint besonders passend und zugleich traurig: Er ist unnötig.
„Dernières Nouvelles d‘Alsace“ (Straßburg):
„(Eine Lösung) bleibt allerdings unmöglich, so lange die Islamisten im Gazastreifen an der Macht bleiben und ein einziges Ziel verfolgen: die Zerstörung Israels.“
„Politiken“ (Kopenhagen):
„Netanyahus israelische Politik ist extrem gefährlich, weil sie auf der Illusion beruht, dass es eine rein militärische Lösung für Israels Sicherheitsproblem gibt. Es verhält sich genau umgekehrt. Jedes Mal, wenn es militanten palästinensischen Gruppen gelingt, eine militärische Konfrontation und blutige israelische Vergeltungsaktionen zu erzwingen, gibt es zwei sichere Verlierer: zivile Palästinenser und die israelische Sicherheit. Auf der anderen Seite gibt es keine Gewinner. Israel kann sich nicht zum Frieden bomben.“
„El Mundo“ (Madrid):
„Israel geht mit seiner Vergeltungsaktion für den Mord an drei Studenten durch die Hamas im Westjordanland zu weit. Es fehlt ein Vermittler, der genügend Einfluss besitzt und entschlossen ist, dem Massaker ein Ende zu machen.
„tageszeitung“ (Berlin):
„Die vergangenen Tage zeigten zudem, dass die vielen Stollen, die die Kämpfer der Hamas in israelisches Gebiet trieben, zu einer strategischen Bedrohung geworden sind. Doch am wichtigsten ist der politische Wandel: Die Hamas konnte nach jedem Waffengang aufrüsten, weil die Schmugglerroute im Sinai offen war. Das ist nicht mehr der Fall. Kairo hat den Sinai für die Islamisten dicht gemacht. Sie werden Jahre brauchen, um sich wieder so auszustatten wie vor Beginn der Eskalation. So könnte ein begrenzter Einmarsch Israel einen längeren Waffenstillstand gewähren als jede frühere Operation. Was aber nur wirklich sinnvoll ist, wenn dieses Zeitfenster genutzt wird, um politische Lösungen voranzutreiben.“
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Deutschland):
„Der Krieg im Gazastreifen wird mit jedem Tag blutiger. Schreckliche Bilder gehen um die Welt, aber ein Ende ist nicht in Sicht. Es ist abzusehen, dass sich die Hamas nach dem Ende des jüngsten Waffengangs erholen wird - wie von allen früheren Kriegen. Denn nach jedem Waffengang wuchs die Solidarität unter den Palästinensern, zumal viele Forderungen der Hamas nicht überzogen oder unrealistisch sind. So verlangt die Hamas, die Abrieglung des Gazastreifens zu lockern, damit die Wirtschaft endlich in Gang kommen kann. Ohne eine Perspektive für die Palästinenser im Gazastreifen wird es nie einen Frieden geben. Und allein mit Bodenoffensiven im Abstand mehrerer Jahre lässt sich der Raketenterror der Hamas gegen die israelische Zivilbevölkerung nicht vertreiben.“
Die Essedin-el-Kassam-Brigaden hatten zuvor erklärt, einen israelischen Soldaten verschleppt zu haben. „Der israelische Soldat Schaul Aaron ist in den Händen der Essedin-el-Kassam-Brigaden“, sagte ein Sprecher der Brigaden mit dem Kampfnamen Abu Obeida am Sonntagabend im Fernsehen. In Gaza-Stadt sowie in Ramallah und Hebron im Westjordanland kam es daraufhin zu Jubelszenen, wie AFP-Korrespondenten berichteten.
Die Essedin-al-Kassam-Brigaden sind der bewaffnete Arm der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas, die den Gazastreifen kontrolliert. Hamas-Sprecher Sami Abu Suhri nannte die mutmaßliche Entführung einen „großen Sieg und eine Rache für das Blut der Märtyrer“. Die Hamas hatte zuletzt im Jahr 2006 einen israelischen Soldaten verschleppt. Gilad Shalit wurde 2011 im Austausch gegen 1027 in Israel inhaftierte Palästinenser freigelassen. (APA/dpa/AFP)