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Drah’ di net um

Wien als Spionage-Hochburg: Emil Bobi spürt in „Die Schattenstadt“ den Verbindungen von „Wiener Seele“ und international agierenden Geheimdiensten nach.

Von Joachim Leitner

Innsbruck –Am Anfang steht gewissermaßen ein Persil-Schein: Laut dem Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 20. April 1956 ist Spionage in Österreich nur dann verboten, wenn „sie sich direkt gegen Österreich richtet“. Da die weltpolitische Relevanz der Zweiten Republik vergleichsweise gering ist, Österreich also kaum zum Primärziel geheimdienstlicher Unternehmungen werden dürfte, festigte dieser Beschluss Österreichs Rolle als Drehscheibe internationaler Nachrichtendienste.

Eine Rolle, die gerade Wien bereits in den finalen Tagen des Zweiten Weltkriegs und als in vier Besatzungszonen geteilte Stadt in der unmittelbaren Nachkriegszeit spielte: Wien wurde zum Treffpunkt für mehr oder weniger professionelle Beobachter, die sich gegenseitig beim Beobachten beobachten, Umschlagplatz für Informationen, die größtenteils alles andere als weltbewegend waren. Trotzdem: Aus dem Handel mit der heißen Luft wurde schnell ein florierendes Geschäftsmodell. Eine Hand wäscht die andere sozusagen: Geheimdienste sammeln und übermitteln Informationen und Österreich schneidet mit. Und das bis heute. Man habe sich gut eingerichtet in Wien und nach dem Fall des Eisernen Vorhangs „ist alles normal weitergelaufen“, meint beispielsweise der mittlerweile emeritierte Grazer Zeithistoriker Siegfried Beer. Beer geht davon aus, dass heute rund die Hälfte der knapp 17.000 in Wien akkreditierten Diplomaten Verbindungen zu ausländischen Geheimdiensten haben. Dabei sei es nicht nur die geografische Lage Wiens, die die Stadt zur Spionage-Hochburg werden ließ, sondern der „österreichische Weg“ im Umgang mit potenziellen oder tatsächlichen Problemfällen. Da werden schon einmal internationale Bestimmungen auf das Äußerste gedehnt oder Haftbefehle ignoriert, schließlich gilt es, Wiens Status als diplomatischer Hot-Spot mit prestigeträchtigen UNO-, OPEC- oder OECD-Sitzen zu sichern.

Geht es nach dem Journalisten und langjährigen profil-Mitarbeiter Emil Bobi, ist dieser pragmatische Erkläransatz aber nur eine Seite der Medaille. Mit „Die Schattenstadt“ legt Bobi jetzt ein Buch vor, das eine Mentalitätsgeschichte der Spionage in Österreich sein will. Die grundlegende These der Studie lässt sich dabei einfach zusammenfassen: Die Spionage und Wien passen deshalb so gut zusammen, weil das Wesen der Wienerinnen und Wiener sie nachgerade dafür prädestiniert.

Das klingt zunächst einmal nach ausgemachtem Stumpfsinn – und die Wortschöpfung „Spionage-Gen“ macht die Sache nicht wirklich besser. Im Gegenteil: Sie rückt die im Grunde aufschlussreiche Aneinanderreihung fein recherchierter Anekdoten aus der Agentenwelt in die Nähe kruder Sentenzen der Marke Thilo Sarrazin.

Vom eigentlichen Kern des Problems, dass nämlich – und diesen Punkt führt der Autor früh ins Feld – der Umgang des offiziellen Österreichs mit internationalen Geheimdiensten wie CIA, NSA oder den Nachfolgeorganisationen des sowjetischen KGB die Souveränität des Landes gefährdet, lenkt Bobis Blick in die Seele des Wieners ab. „Die ganze Wahrheit“, schreibt er, „ist in Wien immer etwas Geheimes. Die ,Wiener Wahrheit‘ ist eine Spielform der ,ganzen Wahrheit‘, die zum eigenen Vorteil gereicht. Aber so, dass es niemanden stört und als charmant empfunden wird.“ Das mag sein, aber als Erklärung für die überstürzte Freilassung des mittels europäischem Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gesuchten Ex-KGB-Offiziers Michail Golowatow im Juni 2011 taugt küchenpsychologisch unterfütterte Wienerlied-Romantik samt Kieberer-Klischees nicht.

Und das ist letztlich die große Schwäche von „Die Schattenstadt“: Anstatt dem anhand anschaulicher Beispiele aus den letzten Jahren beschriebenen Spannungsfeld zwischen diplomatischem Kalkül und Vernaderung auf den Grund zu gehen, wird – gewissermaßen als vorauseilende Entschuldigung – das klischeebeladene Bild des halbweltaffinen „echten Wieners“ bemüht, der „drah’ di ned um“ flüstert – und trotzdem die Hand aufhält. Ganz so als könnte er nicht anders.

Sachbuch Emil Bobi: „Die Schattenstadt“. Ecowin, 210 S., 21.95 €.