Akademikerball-Prozess vor Abschluss
Die Staatsanwaltschaft rückte den Angeklagten in die Nähe des Terrorismus, die Verteidigung zweifelt an den Aussagen des Hauptbelastungszeugen und sieht starke Widersprüche. Mit einem Urteil wird für 16 Uhr gerechnet.
Wien – Mit der Einvernahme von weiteren Polizisten ist am Dienstag im Wiener Straflandesgericht der Prozess gegen einen deutschen Demonstranten fortgesetzt worden, der sich laut Anklage am 24. Jänner 2014 in der Wiener Innenstadt bei gewalttätigen Ausschreitungen rund um den Akademikerball als Rädelsführer hervorgetan haben soll. An die 60 Beamte sollen am heutigen Verhandlungstag befragt werden.
Zunächst traten Exekutivbeamte aus Oberösterreich in den Zeugenstand, die in die Bundeshauptstadt beordert worden waren. Sie wurden am Stephansplatz eingesetzt und sollten dort eine Sperrkette bilden, um den Protestzug zum Stoppen zu bringen.
„Identifizierung nicht möglich“
Der Polizeikordon wurde allerdings durchbrochen, wie die Beamten schilderten. „Plötzlich wurden wir von allen Seiten umringt und von allen Seiten beworfen“, schilderte ein 50-jähriger Oberst, der zwei Züge zu je 25 Mann befehligte, die zu einer sogenannten „Flankenbegleitung“ abgestellt waren. Er habe daher den Rückzug zum Haas-Haus befohlen. Die Angreifer seien „großteils vermummt“, ein Identifizierung daher „nicht möglich“ gewesen. Er habe auch „primär auf die Mannschaft geachtet, dass ihr der geordnete Rückzug möglich ist“, räumte der Oberst ein.
Die Frage von Richter Thomas Spreitzer, ob er einen „Werfer“ erkannt habe, verneinte der Offizier dezidiert. Er selbst habe „drei, vier Gegenstände“ abbekommen, die er „am Helm anklopfen gespürt“ habe: „Was das war, kann ich nicht sagen. Neben mir ist ein Bengale gelandet. Pyrotechnik ist massiv eingesetzt worden.“
Als Staatsanwalt Leopold Bien, der am heutigen Tag die Anklage vertrat, wissen wollte, weshalb die Polizei am Stephansplatz nicht nachdrücklicher gegen die gewalttätigen Demonstranten eingeschritten sei, verwies der Oberst auf die Übermacht der Manifestanten: „Wir waren deutlich in der Unterzahl. 50 gegen schätzungsweise 6.000, 7.000. Das geht nicht, dass ich da von der Aida bis zum Haas-Haus absperre. Mit der Mannschaft, mit der wir dort waren, geht das nicht.“
Beamte wurden „massiv attackiert“
Beamte aus besagter Mannschaft beschrieben im Anschluss, man habe sie „massiv attackiert“. „Steine sind definitiv geflogen“, meinte einer, während ein anderer das wiederum verneinte. Alle waren sich einig, dass Flaschen geworfen wurden, Mülltonnen gerollt bzw. geschleudert wurden. „Ich bild‘ mir sogar ein, dass ich ein Nudelsieb hab‘ fliegen sehen“, gab ein Beamter zu Protokoll.
Mehr oder weniger klar schlossen vorerst alle Zeugen aus, dass es möglich gewesen wäre, einen Angreifer zu identifizieren. Diese hätten „alles Mögliche gemacht, um eine Identifizierung zu verhindern“, verwies ein Zugkommandant auf die einheitlich schwarze Bekleidung sowie die Vermummung der gewaltbereiten Demonstranten. „Am Stephansplatz ist es nur mehr um den Eigenschutz gegangen. Da ist es nicht darum gegangen, jemanden zu identifizieren, sondern gröbere Verletzungen zu verhindern“, betonte der Zugkommandant.
Keiner der Zeugen will Angeklagten gesehen haben
Keinem der bisher befragten Zeugen war am Stephansplatz ein Mann mit einem „Boykott“-Sweater aufgefallen. Dieses markante Kleidungsstück soll der Angeklagte - ein 23 Jahre alter Student aus Jena - den Angaben eines Zivilpolizisten zufolge getragen haben, demzufolge der schlaksige, blasse und zumindest äußerlich wenig kräftig wirkende junge Mann ein Anführer des Schwarzen Blocks gewesen sein soll. Ihm wird unter anderem Landfriedensbruch, versuchte absichtliche schwere Körperverletzung und schwere Sachbeschädigung vorgeworfen. Er soll eine Rauchbombe in ein demoliertes Polizeifahrzeug geschmissen, Steine gegen Einsatzkräfte geschleudert und die Polizeiinspektion Am Hof beschädigt haben, was von der Verteidigung bestritten wird.
Uneinigkeit unter Polizisten
Im Prozess gegen den deutschen Demonstranten weiterhin Uneinigkeit zwischen den befragten Polizisten über den Einsatz von Steinen als Wurfgeschoße durch die Demonstranten geherrscht. Während einige Beamte „alles Mögliche“ wahrnahmen, sich auf Steine aber nicht festlegen mochten, haben andere faustgroße natursteinartige Geschoße bemerkt.
Die Übergriffe sollen auch eher spontan auf die am Stephansplatz stationierten Polizisten gewirkt haben. Nach dem Befehl, die Straßensperre Richtung U-Bahn freizugeben, sei kurze Zeit allgemeine Verblüffung ausgebrochen. „Das Gegenüber war gleichermaßen baff wie wir“, sagte ein Polizist im Zeugenstand.
Einer der Beamten kritisierte zudem das Vorgehen am Stephansplatz vor Beginn der Eskalation. Der Gruppenkommandant äußerte Unverständnis, weshalb bei Einsetzen des Gedränges und dem Versuch der Demonstranten, den Polizeikordon zu durchbrechen, nicht gleich eingeschritten wurde: „Ich hätte das Pfefferspray schon ziehen wollen, dann dachte ich mir aber, dann sind wir wieder schuld. Und dann ist es auch schon los gegangen.“
Dramatische Berichte von Demo
In teils dramatischen Worten haben Polizeibeamte die Vorgänge am Stephansplatz geschildert, nachdem Demonstranten den Polizeikordon durchbrochen hatten. Er sei „überrannt“ worden, „nach hinten geflogen“ und „leicht verletzt“ worden, gab ein Polizist zu Protokoll. Es habe „nur so geprasselt“. Sein Helm habe „ein großes Loch“ aufgewiesen: „Ich hab‘ schauen müsse, dass ich nicht untergehe.“
Der Beschuss mit Glasflaschen und sonstigen Gegenständen sei „so arg“ gewesen, „dass ich nichts mehr habe sagen können“. Der Zeuge ging davon aus, dass er ohne seine Kollegen, die ihm zu Hilfe kamen und ihn wieder aufrichteten, gravierender zu Schaden gekommen wäre. An den Ausschreitungen hätten sich „sicher Hunderte Vermummte“ beteiligt: „Es war nur ein Tohuwabohu.“
Ein anderer Polizist wurde von einem Feuerlöscher getroffen, wie er Richter Thomas Spreitzer berichtete. Einen anderen Kollegen trafen eigenen Angaben zufolge sechs bis sieben Böller: „Einer ist mir unter den Füßen explodiert.“ Die Angreifer bewarfen die Uniformierten daneben auch mit Eiern, Farbbeuteln und sogar Klobürsten. Bei einigen Polizisten waren die Schilde angesengt, die sie zur Abwehr der pyrotechnischen Wurfgegenstände einsetzen mussten.
„Es ist auch versucht worden, uns die Schilde zu entreißen. Wir haben nur mehr probiert, dass wir uns gegenseitig beschützen“, meinte ein weiterer Beamter. Es habe sich um einen „massiven Bewurf“ gehandelt: „Es hat richtig geglöckelt.“ „Es war relativ gefährlich“, pflichtete ein Kollege bei. Man habe nur mehr „geschaut, dass man heil rauskommt“. Mülltonnen seien aus der Verankerung gerissen und in Richtung Polizeikräfte geschleudert worden: „Die haben‘s Gott sei Dank nicht so weit werfen können, weil‘s zu schwer waren“.
Schlussworte des Angeklagten
Der Prozess gegen den 23-jährigen Studenten, der sich am 24. Jänner 2014 als Rädelsführer bei gewalttätigen Ausschreitungen im Rahmen einer Demonstration gegen den Wiener Akademikerball hervorgetan haben soll, wird am Dienstagnachmittag zu Ende gehen. Verteidiger Clemens Lahner verzichtete nach einer kurzen Pause auf die Einvernahme weiterer Polizisten.
Zwölf Beamte, die seit 9.00 Uhr vor dem Verhandlungssaal auf ihre Befragung gewartet hatten, wurden daraufhin vom Richter entlassen. Anschließend gab der Angeklagte ein kurzes Statement ab. Er räumte ein, an der Demonstration teilgenommen zu haben: „Ich habe einen Mülleimer angefasst und aufgestellt.“ Danach sei er den anderen Demonstranten gefolgt und weggegangen. „Zum Schluss möchte ich noch anfügen, dass ich Linkshänder bin“, beendete der 23-Jährige seine Ausführungen. Auf Befragen des Richters erklärte er, zu keinen weiteren Angaben bereit zu sein und.
Staatsanwalt sieht „Terroristen“
Staatsanwalt Leopold Bien hat sich in seinem Schlussplädoyer hinsichtlich der Anklagepunkte Landfriedensbruch, versuchter Körperverletzung und schwerer Sachbeschädigung von der Schuld des Angeklagten überzeugt gezeigt. Er warf dem 23-Jährigen Feigheit vor und rückte diesen in die Nähe zum Terrorismus. Dass der Angeklagte während der Verhandlung von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hatte, behagte dem Anklagevertreter nicht. Bien ersuchte das Gericht, dies entsprechend zu würdigen. „Ich persönlich halte es für feige, wenn man schweigt, wenn man einem die Maske vom Kopf zieht und man ohne Schutz sich verantworten muss“, stellte der Staatsanwalt fest.
Dem Tatbestand des Landfriedensbruchs brauche es, um strafrechtlich gegen Ausschreitungen bei Großveranstaltungen vorgehen zu können, betonte der Staatsanwalt. Derjenige sei zu bestrafen, „der in einer Menschenmenge verharrt und daraus heraus entsprechende Straftaten begeht“. Das sei im gegenständlichen Fall „ganz klar der Fall“. Nach Biens Dafürhalten sei auch die führende Beteiligung des 23-Jährigen erwiesen, während er einräumte, dem jungen Mann zumindest den Vorsatz in Richtung einer absichtlich schweren Körperverletzung im Zweifel nicht nachweisen zu können. Daher sei dieser lediglich wegen versuchter schwerer Körperverletzung schuldig zu sprechen.
Unmutsäußerungen und lautes Gelächter im bis auf den letzten Platz gefüllten Gerichtssaal erntete Bien, als er den schlaksigen Studenten in die Nähe zum Terrorismus rückte. „Gewalt hat einen Namen: Terrorismus“, stellte Bien fest. Wer politische Forderungen mit Gewalt durchzusetzen versuche, betätige sich in diese Richtung. Der Rechtsstaat müsse sich vor derartigen Auswüchsen schützen. Bei einer Demonstration könne es nicht sein, dass der Großteil friedlicher Demonstranten von „einer kleinen Schar von Chaoten in Geiselhaft genommen wird, denen es darum geht, ihre fundamentale Abneigung gegenüber dem Staat zum Ausdruck zu bringen“, bemerkte Bien.
Der Staatsanwalt forderte aus all diesen Gründen das Gericht auf, über den 23-Jährigen „jedenfalls mindestens eine teilbedingte Haftstrafe“ zu verhängen, um diesem „und weiteren tatsächlichen oder potenziellen Tätern“ den Unrechtsgehalt seiner Handlungen vor Augen zu führen. Dass sich die Anklage lediglich auf die Angaben eines einzigen Zeugen stütze - eines Zivilpolizisten, der den Studenten bei gegen Uniformierte gerichteten Gewalttätigkeiten beobachtet haben will -, fand der Ankläger nicht irritierend. Dieser Beamte habe einzig und allein die Aufgabe gehabt, die Demonstranten zu beobachten und habe in dieser Funktion den Angeklagten von Beginn an minutiös wahrgenommen. Dass andere Beamte keine Wahrnehmung dieser Dinge gemacht hätten, habe kein Gewicht, weil diesen eine andere Aufgabe zugekommen wäre, gab Bien sinngemäß zu bedenken.
Verteidigung zweifelt an Hauptbelastungszeugen
Der Angeklagte habe „friedlich, ohne Vermummung“ an der Demonstration gegen den Wiener Akademikerball teilgenommen und kein wie auch immer strafbares Verhalten gesetzt, hat Verteidiger Clemens Lahner in seinem Schlussvortrag betont. Er beantragte daher einen Freispruch für den 23-jährigen Studenten aus Jena.
2.500 Polizisten hätten den jungen Mann trotz eines markanten Sweaters und einer bei Nacht reflektierenden Hose bei keiner strafbaren Handlung beobachtet. Dass demgegenüber ein einziger Beamter seinen Mandanten belaste, könne nicht Grundlage einer Verurteilung sein, zumal dieser Zeuge „uns berichtet hat, was er sich zusammengereimt hat“, wie Lahner sagte.
Der Verteidiger wies in diesem Zusammenhang auf widersprüchliche Angaben des Zivilpolizisten hin, der den Angeklagten während der Demo laufend beobachtet und beim Erteilen von Kommandos („Weiter, weiter, Tempo, Tempo, weiter!“) gehört haben will. Letzteres sei mittlerweile von einem Gutachten widerlegt, betonte Lahner. Auch für die ihm unterstellte Verwüstung der Polizeiinspektion Am Hof sowie das Zerstören eines Polizeieinsatzfahrzeugs mittels einer Rauchbombe komme der 23-Jährige nicht infrage. Er habe sich nachweislich zu den fraglichen Zeitpunkten noch gar nicht am Ort des Geschehens befunden. „Auf Hunderten Fotos und Videos gibt es kein einziges Bild, das den Angeklagten bei einer strafbaren Handlung zeigt“, bekräftigte der Rechtsvertreter des 23-Jährigen. Die schriftliche Anklage bezeichnete Lahner als „Angriff auf die Demonstrationsfreiheit“, da sie alle Demonstranten pauschal als „Demosöldner“ und „Chaoten“ diffamiere.
Co-Verteidigerin Kristin Peitrzyk kritisierte den Staatsanwalt, der den Angeklagten in die Nähe zum Terrorismus gerückt und dessen Schweigen während der Hauptverhandlung als Feigheit ausgelegt hatte. „Wenn es eine Verurteilung auf dieser Beweislage gibt, ist das ein in Angst und Schrecken Versetzen jeder Person, die auf eine Demonstration geht“, meinte Peitrzyk, was zahlreiche im Saal anwesende Sympathisanten des Angeklagten mit heftigem Applaus honorierten.
Im Anschluss zog sich der Schöffensenat zur Beratung zurück. Mit der Urteilsverkündung sei „frühestens um 16.00 Uhr“ zu rechnen, beschied Richter Thomas Spreitzer.
(APA)