Szeneliebling und „Essiggurkerl“: Erwin Wurm wird 60

Wien (APA) - „Was ist von einem Staatspreisträger zu halten, der sich als Essiggurkerl porträtiert?“, fragte Laudator Max Hollein, als Erwin...

Wien (APA) - „Was ist von einem Staatspreisträger zu halten, der sich als Essiggurkerl porträtiert?“, fragte Laudator Max Hollein, als Erwin Wurm im Vorjahr den Großen Österreichischen Staatspreis erhielt. Dabei ist die Gurke noch die schmeichelhafteste Form, die der in Wien und Limberg lebende Künstler dem Menschen in seinen Skulpturen zuschreibt. Am Sonntag wird der adrette Meister der Ironie 60.

Seit 2011 sind die mannshohen, aus dem Asphalt wachsenden Gurken - Wurms „Selbstporträt als Essiggurkerl“ - im Salzburger Festspielbezirk präsent. Wie der Mensch sind sie individuell verschieden, „aber doch sofort als Gurke erkennbar und einem Ganzen zuordenbar“, so Wurm, der sich in seinem Schaffen für Labilitäten und Brüchigkeiten in scheinbar sicheren Alltagsabläufen interessiert und diese in einem erweiterten Skulpturenbegriff artikuliert. Seine Arbeitsweise ist bestimmt von der Vielseitigkeit in der Verwendung medialer Konzepte und reicht von der Fotografie zum Video, von der Skulptur zur Installation, von der Zeichnung zum Objekt.

Erwin Wurm wurde am 27. Juli 1954 in Bruck an der Mur geboren und studierte von 1977 bis 1979 am Mozarteum in Salzburg und von 1979 bis 1982 an der Hochschule für angewandte Kunst sowie an der Akademie der bildenden Künste in Wien. In den 80er-Jahren schuf er aus Brettern, Latten und Blech Skulpturen, die er dann bunt bemalte. In diesen frühen Arbeiten bezog er sich in ironischer Anspielung auf den Futurismus und unterlief damit kunsthistorische Gewissheiten. Es folgten seine Staubobjekte, in denen lediglich die Abdrücke im Staub auf die gerade vergangene Gegenwart eines Volumens verwiesen.

Die in Fotografien und Videos festgehaltenen „one minute sculptures“ machten ihn Anfang der 90er-Jahre schließlich schlagartig bekannt: Mit dem Aufeinandertreffen von Menschen und Alltagsgegenständen in ungewohnter Konstellation dekonstruierte der Künstler die Vorgangsweisen ritualisierten menschlichen Tuns auf eine Art und Weise, die fest gefügte Begriffe und Handlungen zum Wanken bringt. 2006 war unter dem Titel „Erwin Wurm: Keep a Cool Head“ eine 400 Werke umfassende Schau im mumok zu sehen. Gezeigt wurde dort etwa auch der bekannte rote „Fat convertible“-Porsche, der Wurms Methode, bekannte Gegenstände quasi übergewichtig werden zu lassen, repräsentierte. Publikumsmagnet war im Rahmen der Ausstellung auch das auf dem mumok-Dach platzierte, umgedrehte Einfamilienhaus.

2011 begeisterte Wurm auf der Biennale in Venedig mit seinem zusammengestauchten Elternhaus („narrow house“), das als Teil der edlen „Glasstress“-Ausstellung, zu deren Kuratoren Peter Noever zählte, enthüllt wurde. Was man mit alten, ausrangierten Möbelstücken machen kann, zeigte er daraufhin unter dem Titel „Schöner Wohnen“ in einer Ausstellung im Wiener Museum für angewandte Kunst (MAK). 2012 zeichnete Wurm für jenes gekrümmte Segelboot verantwortlich, das auf dem Dach des neu eröffneten Wiener Hotels Daniel nahe dem ehemaligen Südbahnhof platziert wurde. Im selben Jahr präsentierte er unter dem Titel „Schlagen und Treten“ („hit me,...hit me...“) neue „Zornskulpturen“ im Gironcoli-Museum in der Oststeiermark und im Rahmen der Schau „De Profundis“ übermalte er Aktfotos in der Albertina. Diesen Frühling belebte er seine „one minute sculptures“ wieder, indem er sie im Frankfurter Städel Museum von zahlreichen Besuchern neu erschaffen ließ. Die nachfolgende „One Minute For Ever“-Skulpturenreihe ist derzeit im steirischen St. Ulrich am Greith zu sehen.

So präsent Wurm in der internationalen Kunstszene ist, so wenig hält er mit Kritik an ihr zurück. Als „Hyäne“ bezeichnete er den globalen Kunstmarkt in der 2012 erschienenen TV-Dokumentation „Der Künstler der die Welt verschluckt“, der ihn als um die Welt jettenden, selbstkritischen Künstler zeigt, der in seinem Arbeitsalltag kein Verständnis für Ineffizienz hat. Die Verleihung des Staatspreises nutzte Wurm an seinem 59. Geburtstag auch dazu, das herrschende „Fettarschsystem“ zu verteufeln - eine Symbolik, die sich auch in seiner aufsehenerregenden „Wortskulptur“ findet. Unter der dramaturgischen Leitung des damaligen Burgtheaterdirektors Matthias Hartmann holte er vergangenen Sommer bei einer Performance in der Salzburger Galerie Thaddaeus Ropac aus, gewissen Kunstsammlern in ihr „Arschgesicht“ treten und sich über den Oligarchen Roman Abramowitsch zu echauffieren, dessen „Wienerle“ schlaff über Venedig liege.

Ob er sich in der Szene wohlfühlt oder nicht: Heute zählt Wurm zu den bedeutendsten Künstlern der Gegenwart, findet sich in den (von ihm kritisierten) internationalen Kunstrankings stets auf vorderen Plätzen und stellt auf der ganzen Welt aus. Neben dem Staatspreis erhielt der dreifache Vater, der in zweiter Ehe mit der Künstlerin Elise Mougin verheiratet ist, u.a. 1984 den Otto Mauer-Preis, 1993 den Preis der Stadt Wien für Bildende Kunst und 2004 den Kunstpreis der Stadt Graz.

(S E R V I C E - www.erwinwurm.at)

(B I L D A V I S O - Bilder von Erwin Wurm sind im AOM abrufbar.)