Ein Grat und viele Steinböcke
Die Tour auf die 3395 Meter Hohe Geige im Pitztal führt in hochalpines Gelände. Trittsicherheit ist ebenso erforderlich wie gute Kondition – entlohnt wird man mit herrlichem Ausblick und Steinböcken in natura.
Von Irene Rapp
St. Leonhard i. P. –Die Hohe Geige trägt ihren Namen zu Recht: Mit einer Höhe von 3395 Metern wird sie von keinem anderen Gipfel im Geigenkamm überragt, trotzdem kann sie ohne Hochtourenausrüstung (Steigeisen, Seil usw.) bestiegen werden.
Konditionsstarke schaffen die rund 1800 Höhenmeter vom Tal aus in einem Tag, was eine Leistung ist, denn dabei müssen auch rund zehn Entfernungskilometer zurückgelegt werden. Wer trittsicher und geländegängig ist, hat zudem die Möglichkeit, die Hohe Geige über den Westgrat zu besteigen und über den Normalweg wieder zur Rüsselsheimer Hütte zurückzukehren.
Am vergangenen Samstag haben wir diese Tour gemacht – bei dem traumhaften Wetter ein einzigartiges Erlebnis. Aber, wie gesagt, diese Tour ist versierten Berggehern vorbehalten, vor allem am blockigen Westgrat braucht man ein gutes Gleichgewichtsgefühl und muss immer wieder mit den Händen arbeiten.
So kommt man hin: Man fährt ins Pitztal bis knapp vor den Weiler Plangeroß fast bis zum Talschluss. Unübersehbar ist dort der Hüttenparkplatz (taleinwärts auf der rechten Straßenseite gelegen) – links geht es zur Rüsselsheimer-, rechts zur Kaunergrathütte.
Vom Parkplatz geht es also zunächst über die Straße durch ein Gatter, dann zum Hüttenzustieg. Die auf 2323 Metern gelegene alpine Unterkunft kann man schon vom Tal aus sehen, ins Blickfeld drängt sich auch der markante Kitzlesbach. Von allen Seiten schießen im Pitztal rauschende Bäche ins Tal, von diesem Geräusch wird man die ganze Zeit bis zur Hütte begleitet.
Zunächst also durch Gehölz und Wald in das baumlose Gelände, die Kehren ziehen sich recht steil immer auf der linken Bachseite hinauf. Einige Stellen sind seilversichert (abschüssig), kurz vor der Hütte wird es ein wenig flacher. Hier ist als Hüttenwirt Florian Kirschner im Einsatz – heuer bereits das 25. Jahr. Der 53-jährige St. Leonharder ist „Hüttenwirt aus Leidenschaft“ und gibt dem Bergsteiger bereitwillig Auskunft, was z. B. die Hohe Geige betrifft. Der Hüttenberg „ist nur für geübte und konditionsstarke Berggeher“, sagt Kirschner und man glaubt es ihm gern, denn der Gipfel der Hohen Geige ist von der Rüsselsheimer Hütte aus noch gar nicht sichtbar.
Dafür schon der Aussichtspunkt Gahwinden (2649 m), den man passiert, wenn man über den Westgrat auf den Gipfel will. Dazu zunächst kurz ostwärts aufwärts und dann immer links halten. Um Gahwinden zu erreichen, wandert man wieder ein Stück talauswärts (eine Stelle seilversichert). Schon von hier aus sind die Ausblicke phänomenal – u. a. auf die gegenüberliegende Watze sowie das gesamte Pitztal. Hier findet sich auf einer Info-Tafel auch der erste Hinweis auf einen beeindruckenden Alpenbewohner – und zwar den Steinbock. Am vergangenen Samstag allerdings ließen sich diese nicht lange bitten, wenige Meter nach dieser Tafel sprang einer fünf Meter vor uns auf den Weg und zeigte wenig Scheu.
Weiter geht es noch einige Meter in grasigem Gelände, dann wird es unvermittelt felsig: Und ab nun wartet bis zum Gipfel fast durchgehend Blockwerk-Gelände auf den Bergsteiger, welches eine reine Freude ist. Über weite Strecken ist das Gehen nicht schwierig (I- und II-Gelände), wenn man auch ab und zu mit den Händen ein wenig nachhelfen muss. Die ausgesetzten Stellen sind an einer Hand abzuzählen, Höhenangst sollte man dennoch keine haben.
Die richtige Aufstiegsspur ist übrigens sehr gut zu finden: Hüttenwirt Kirschner zeichnet für die rote Markierung verantwortlich, dazu gibt es viele Steinmännchen. Eine schwierigere, vertikale Stelle ist laut Kirschner seit fünf, sechs Jahren seilversichert, also haben hier geübte Bergsteiger auch kein Problem.
Wenn man dann rund drei Stunden später in eine Hochmulde kommt – mit einem See und viel Schnee – kann man das Ziel schon sehen. Wir gingen auf den Gipfel auf der linken Seeseite empor, immer wieder durch Schnee und über Blockwerk. Laut Kirschner wäre der Zustieg auch rechts vom See möglich.
Am Gipfel dann weiß man zunächst gar nicht, wohin man schauen soll. Am besten ein Fernglas mitnehmen und die Bergspitzen – von der Wildspitze bis zur Watze bis nach Südtirol hinein – aus der „Nähe“ bewundern.
Den Abstieg bewältigten wir dann auf dem Normalweg. Dazu wieder hinab bis zum See, dort gibt ein großer Stein mit roten Markierungen die Richtung vor. Links halten und in eine Rinne hinein, wo immer wieder rote Markierungen den Weg weisen. Der schrofige, schuttrige, steile erste Abschnitt verlangt ebenso gute Trittsicherheit, in zahlreichen steilen Kehren geht es hinab.
Durch das Weißmaurachkar schließlich zur Hütte hinunter. Und wer will, kann dort ein Steinbockgulasch genießen, so wie ein sichtlich begeisterter deutscher Gast am Samstag neben uns.
Infos zur Bergtour auf die Hohe Geige
Ausgangspunkt: Hüttenparkplatz vor dem St. Leonharder Weiler Plangeroß (1612 m). Aufstieg zur Rüsselsheimer Hütte (2323 Meter) rund zwei Stunden. Aufstieg zur Hohen Geige (3395 m) über den Westgrat rund 4 Stunden, über den Normalweg rund 3 Stunden. Höhenmeter insgesamt: 1783 Meter, dazu rund zehn Entfernungskilometer. Wer will, kann die Tour „teilen“ und auf der Rüsselsheimer Hütte übernachten, Infos: www.dav-ruesselsheim.de. Die Rüsselsheimer Hütte – die früher übrigens Neue Chemnitzer Hütte hieß – ist voraussichtlich bis Ende September geöffnet.
Anforderungen: feste Bergschuhe, eventuell Handschuhe, eventuell auch Helm für den Normalabstieg.