Der Jahrgangsbeste
Bachmann-Preisträger Tex Rubinowitz über seine Faszination für das Wettlesen am Wörthersee, seinen Mentor Wolfgang Herrndorf und die Vorzüge des Alters.
Innsbruck –Tex Rubinowitz ist glücklich. Nicht nur, weil er vor knapp zwei Wochen in Klagenfurt mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde, sondern auch, weil sich das öffentliche Interesse an Preisträger und Preis inzwischen wieder beruhigt hat. „Unmittelbar nach der Preisverleihung war es brutal. Der Traum eines jeden Harembesitzers: Journalistinnen, die an einem zerren, sich wegen Interviews beinahe in die Haare kriegen. Und dann vier Stunden lang dieselbe Frage: ‚Wie fühlen Sie sich, Herr Rubinowitz?‘ Ja, wie soll ich mich fühlen? Ich war sehr froh und sehr überfordert“, sagt Rubinowitz, der bislang vornehmlich als Witzzeichner reüssierte, und lächelt. Jetzt aber, wo dieser „seltsame Sturm“ etwas abgeklungen sei, könne man ernsthaft über die in Klagenfurt gemachten Erfahrungen reden. Sie mit der nötigen Distanz einordnen.
Unmittelbar nach Ihrem Sieg wurden kritische Stimmen laut. Kommentatoren nannten den Juryentscheid sogar „eine Verächtlichmachung der Preisidee“. Haben Sie diese Debatte verfolgt?
Tex Rubinowitz: Am Rande. Das „Gemotschge“ gehört dazu. In den Kommentaren wurde mein Text der Einfachheit halber als witzig apostrophiert. Was natürlich nicht falsch ist. Aber ich halte ihn auch für einen düsteren, verstörenden und irritierenden Text. Und als Bachmann-Preisträger fühle ich mich sowieso nicht. Da halte ich den Ball lieber flach. Was nicht heißt, dass ich den Wettbewerb nicht ernst genommen habe. Aber das Schöne am Bachmann-Preis ist ja auch, dass die Autoren sich nicht rechtfertigen müssen.
Inwiefern?
Rubinowitz: Ich wurde von der Jurorin Daniela Strigl für Klagenfurt nominiert. Und das nicht, weil Frau Strigl ein Dummkopf ist oder eine subversive Aktion plante. Und verarschen wollten sie auch niemanden. Frau Strigl war überzeugt von dem Text – und gewillt, ihn durch den Wettbewerb zu tragen.
Sie verfolgen den Bachmann-Wettbewerb seit Jahren sehr genau. Hat der Bachmann-Experte Tex Rubinowitz dem Autor gleichen Namens gute Gewinnchancen vorhergesagt?
Rubinowitz: Schon die Einladung habe ich als große Ehre empfunden. Einen der kleineren Preise hätte ich mir zugetraut. Alles außer dem Haupt- und dem Publikumspreis. Letzeren gewinnt man nur, wenn man es versteht, online zu mobilisieren. Aber ich twittere nicht. Und bloggen tu’ ich auch nicht. Da hätte ich keine Chance gehabt. Dass es am Ende der Hauptpreis geworden ist, hat mehrere Gründe.
Zum Beispiel?
Rubinowitz: Man muss ehrlich sein: Es war kein wirklich herausragender Jahrgang. Ich meine, die Texte waren okay und alle Teilnehmer wirklich nette Menschen. Aber machen wir uns nichts vor: Den Vergleich mit den Vorjahren besteht die diesjährige Konkurrenz nicht. Aber ich sehe das nicht als Problem. Genauso wie ich kein Problem damit gehabt hätte, ohne Preis nach Hause zu fahren.
Das sagt sich leicht, wenn man den Preis gewonnen hat.
Rubinowitz: Nennen wir es eine Frage des Alters. Ich bin nicht nach Klagenfurt gefahren, um den ersten Schritt in Richtung Weltkarriere zu machen. Ich musste niemandem etwas beweisen, außer mir selbst vielleicht. Während des Wettlesens habe ich viel mit den anderen Kandidaten gesprochen. Da gab es einige Girlies, die unheimlich nervös waren, weil sie vom Schreiben leben wollen – und es im Literaturbetrieb schaffen wollen. Ich habe verschiedene Jobs, aber die wollen Peter Handke werden. Oder Rainald Goetz. Hätte ich in ihrem Alter Goetz werden wollen, wäre ich jetzt Alkoholiker oder Junkie.
Wie Goetz, der sich 1983 beim Bachmann-Preis in die Stirn schnitt und blutend las, hatte man auch bei Ihrem Auftritt das Gefühl, dass sie das Ritual „Wettlesen“ unterwandern wollten. Sie verweigerten das Kandidaten-Video und haben – Zitat Jury-Chef Burkhard Spinnen – „scheußlich“ vorgelesen.
Rubinowitz: Diese Videos sind eine Falle, in die ich als langjähriger Beobachter des Wettbewerbs nicht tappe. Sie folgen einer Ästhetik, die ich nicht vertreten kann. Außerdem will ich über alles, was ich mache, die Kontrolle haben – und das ist bei diesen peinlichen Promoclips nicht der Fall. Auch mein Freund Wolfgang Herrndorf, mit dem ich 2004 erstmals nach Klagenfurt kam, hat damals auf dieses Video verzichtet. Und Vorlesen kann ich einfach nicht besser. Auch bei Lesungen laufe ich immer Gefahr, mich zu verzetteln. Aber da darf ich dann abschweifen.
War es Wolfgang Herrndorf, der Ihr Interesse am Bachmann-Preis entfachte?
Rubinowitz: Als Mitglieder des Forums „Höfliche Paparazzi“ haben wir vor über zehn Jahren begonnen, den Wettbewerb zu verfolgen und zu kommentieren. 2004 habe ich Wolfgang überzeugt, sich um die Teilnahme zu bemühen. Durch unlautere Mobilisierungsmaßnahmen gelang es uns, ihn zum Publikumspreisträger zu machen. Wir haben gevotet wie die Blöden. Aber sein Text war großartig und hat es verdient. Ich glaube, meine Faszination für den Wettbewerb rührt nicht zuletzt von der Ablehnung her, die er häufig erfährt. Viele hassen ihn schlichtweg. Und so was interessiert mich, etwas Verhasstem will ich mich aussetzen. Schon allein, um mich von „den anderen“ zu unterscheiden.
Welche Rolle spielt Herrndorf, der sich 2013 wegen einer tödlichen Krankheit erschoss, für Sie als Autor?
Rubinowitz: Man könnte ihn einen Mentor nennen. Ohne ihn und die anderen Forumsmitglieder, Kathrin Passig zum Beispiel, hätte ich nie ernsthaft zu schreiben begonnen. Sie waren meine Schreibschule, schwangen die Peitsche, liebten und hassten meine Texte. Es steht außer Frage, dass dieser Bachmann-Preis auch ein Preis für die „Höflichen Paparazzi“ ist.
Das Gespräch führte Joachim Leitner