Literatur

Eine einfache Geschichte über eine einfache Seele

Robert Seethaler erzählt in „Ein ganzes Leben“ mit einfachen Mitteln ein ganz einfache – und berührende – Geschichte.
© Urban Zintel

Überlebens-Chronik: Robert Seethalers fünfter Roman „Ein ganzes Leben“ über einen 1902 geborenen Hilfsknecht, dem das Leben übel mitspielt.

Von Friederike Gösweiner

Innsbruck –Offensichtlich hat es Robert Seethaler, der selbst durchaus urban in Wien und Berlin lebt, die Provinz ganz besonders angetan. Praktisch alle seiner bisher vier Romane spielen auf dem Land: in Dörfern, Tälern, am Rand der Zivilisation. Sein neuer Roman „Ein ganzes Leben“ macht da keine Ausnahme, er erzählt, wie der Titel sagt, tatsächlich den gesamten Lebensweg eines einfachen Mannes auf dem Land.

Nachdem die Mutter früh stirbt, kommt Andreas Egge­r mit vier Jahren in das Tal, in dem er sein ganzes Leben verbringen wird. Dort wächst er bei einem Bauern auf und lernt nicht nur die harte bäuerliche Arbeit kennen, sondern auch die harte bäuerliche Erziehung. Züchtigung steht zu der Zeit, in der der Roman spielt, auf der Tagesordnung – Seethalers Held ist 1902 geboren, wann genau, weiß niemand. Obwohl ihm der Bauer ein Bein krumm schlägt, wächst Egger aufgrund guter körperlicher Voraussetzungen trotzdem zu einem gefragten Hilfsknecht heran. Er schlägt sich als Gelegenheitsarbeiter durchs Leben und kann, weil er sparsam lebt und fleißig arbeitet, bald sogar ein kleines Grundstück oberhalb des Dorfes kaufen.

Mit dieser bescheidenen Existenz ist Egger zufrieden – bis er Marie trifft, in die er sich Hals über Kopf verliebt. Möchte er sie heiraten, so muss er mehr Geld verdienen, für sie sorgen können, also heuert er bei der Gesellschaft an, die gerade die erst­e Bergbahn im Tal zu bauen beginnt. Das Glück scheint perfekt, da reißt eine Lawine nicht nur sein kleines Häuschen fort, sondern tötet auch seine Braut. Als der Zweite Weltkrieg ausbricht, steht Egge­r vor dem Nichts. Den Krieg erlebt er an der Ostfront, wo er schnell in Gefangenschaft gerät. Auch diese acht Jahre irgendwo in Russland überlebt er und kommt schließlich zurück in „sein“ Tal. Aber dort wartet nichts auf ihn, kein Mensch, kein Haus, kein­e Arbeit. Er muss ganz von vorn beginnen – wieder einmal – und wieder hilft ihm dabei sein Fleiß und die erstaunliche Fähigkeit, nicht viel zu wollen und mit wenig zufriede­n zu sein.

Seethalers Egger ist ein Held im klassischen Sinn, ein einfacher, guter Mann, dem das Leben übel mitspielt, der jede Menge Leid erfährt. – So viel, dass man zu sagen versucht ist, der Autor übertreibt. Aber das Schicksal, das Seethaler vorführt, mag tatsächlich für die Generation, der Egger angehört, kein allzu außergewöhnliches sein. Auch die Art und Weise, wie Seethaler Eggers Leben darstellt, wirkt auf den ersten Blick zu einfach. Sie entspricht im Grunde aber nur der Einfachheit oder Einfältigkeit der Figur, die mit ihrem schwierigen Schicksal nicht groß hadert, sondern es schulterzuckend hinnimmt – und deshalb auch überlebt.

Seethaler reichen bescheidene 150 Seiten für ein ganzes Leben. Er beschränkt sich auf das Wesentliche, verknappt und reduziert, das zeigt sich auch in der gewohnt nüchternen Sprache und der lapidaren Art zu erzählen. Sicher kann man sich fragen, ob es nicht zu einfach ist, was er als das Wesentliche herausholt, was man mit so einer Geschichte soll, die wieder einmal das harte Landleben beschreibt, was er mit dieser gleichmütigen Figur will. Im Grunde wahrscheinlich nicht viel: „Ein ganzes Leben“ erzählt mit einfachen Mitteln eine einfache Geschichte. Und die berührt – auch das ist eine Kunst.

Roman Robert Seethaler: „Ein ganze­s Leben“. Hanser Berlin, 160 Seiten, 18,90 Euro.