Literatur

Zauberworte auf faulenden Matratzen

© Ulrich Egger

Der Südtiroler Lyriker Sepp Mall widmet sich in seinem neuen Gedichtband „Schläft ein Lied“ der Beziehung von Wort und Welt.

Von Joachim Leitner

Innsbruck –Wie lässt sich Ordnung schaffen in einer Welt der flüchtigen Eindrücke? Man könnte Listen anlegen, zu Papier gebrachte Bestandsaufnahmen dessen, was ist, und dessen, was war. Zudem könnte man das Aufgezählt­e, schon allein der Gleichbehandlung wegen, alphabetisch sortieren. Ein Brevier anlegen also, ein „Abc des Endlichen“, von A wie „Almrausch“ bis Z wie „Zuflucht“. Aber was, wenn sich herausstellt, dass Aufzählungen nichts nützen? Dass auch penibelste Buchführung dem einmal Erfahrenen, dem einstmals Begriffenen nicht gerecht wird. Viel ist über diese nicht gerade einfache Beziehung zwischen Wort und Welt bereits geschrieben worden. Man kann es bei Hoffmannstha­l nachlesen, bei Fritz Mauthner, Wittgenstein oder beim Linguistik-Pionier Ferdinand de Saussure.

In seinem neuen Lyrikband „Schläft ein Lied“ sinnt auch der Südtiroler Dichter Sepp Mall diesen Fragen nach. Er zählt auf und denkt dem Aufgezählten nach. Aber bereits der Titel unterstreicht: Hier soll de Saussure vom Kopf auf die Füße gestellt werden und der Sprachskepsis mit der Kraft des Wortes begegnet werden. „Schläft ein Lied in allen Dingen (...) und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort“, schrieb Joseph von Eichendorff schon 1835 seinen Dichterkollegen ins Stammbuch.

Und Mall reiht Zauberwort an Zauberwort. In knappen, betont sachlich gehaltenen Versen, öffnet er den unermesslichen Gedankenraum hinter dem Sichtbaren, steigt entlang einfacher Bilder tief hinunter ins Reich des Vergänglichen. Bestimmendes Thema ist dabei die Erinnerung: an kindliche Unbeschwertheit „auf dem staubigen Bolzplatz oder unter der Schiefertafel“, „eingemottetes Begehren“ und vergangene Lieben auf „faulenden Matratzen“. Spielerisch setzt Sepp Mall in seinen Gedichten Wortwelten zusammen und reißt sie mit leiser Ironie und ohne das Pathos einer großen Geste wieder ein. Das Resultat ist ein hintersinniges Fest der Sprache.

Lyrik Sepp Mall: „Schläft ein Lied“. Haymon, 75 Seiten, 16,90 Euro.