Mit den Glaubensbrüdern auf großer „Kalifahrt“
Gaza (APA/AFP) - Jihadistische Lieder füllen den Bus. Auf dem Dach flattert laut den Berichten von Augenzeugen die schwarze Fahne der Extrem...
Gaza (APA/AFP) - Jihadistische Lieder füllen den Bus. Auf dem Dach flattert laut den Berichten von Augenzeugen die schwarze Fahne der Extremisten von der Gruppe Islamischer Staat (IS) im Wind. Die Fahrt geht durch das neue „Kalifat“, das die Extremisten im Juni in Teilen Syriens und des Iraks grenzüberschreitend ausgerufen haben.
Ein „Ausflugsangebot“ der Jihadisten sind Fahrten von der syrischen Provinz Raqqa nach Anbar im Irak. Im rauen Alltag eines selbst ernannten „Gotteskriegers“ ist eine Bustour eine willkommene Abwechslung. Das Angebot erfreue sich regen Zuspruchs, berichten Aktivisten. Einwohner der Region nutzten den Busservice einfach als bequemes Verkehrsmittel. Besonders gern werde die Tour von ausländischen IS-Kämpfern in Anspruch genommen, sie lasse aber offenbar auch flitternde Jihadisten schwach werden.
Einer der ersten Kunden sei der tschetschenische Jihadist Abu Abdel Rahman al-Shishani gewesen, so Aktivist Hadi Salameh. Der 26-Jährige habe mit seiner neuen syrischen Frau die „Kalifat“-Tour gebucht. „Kurz nach ihrer Hochzeit hat er sie nach Anbar mitgenommen. Diese Jihadisten sind sehr romantisch“, scherzt Salameh. Nur hätten die beiden Frischvermählten nicht nebeneinander sitzen dürfen. Weil „Frauen hinten und Männer vorne sitzen“ - nach streng islamischer Geschlechtertrennung.
Andere Grenzen gelten dafür nicht mehr. Wenn der Bus die Grenze zwischen Syrien und dem Irak passiere, müsse niemand einen Pass vorzeigen, sagt Salameh, der aus Furcht vor Repressalien der IS-Kämpfer ein Pseudonym nutzt. Die alte Grenze gelte nicht mehr, seit die Jihadisten die Gebiete auf beiden Seiten kontrollieren und ihr „Kalifat“ ausgerufen haben.
Die Fahrt beginnt in Tal Abyad an der syrisch-türkischen Grenze und führt bis ins irakische Anbar. Ein- und Aussteigen kann man jederzeit. „Natürlich ist es nicht umsonst. Der Preis richtet sich danach, wie weit Sie mit dem Bus fahren“, sagt Salameh.
In den Vorstellungen der IS-Jihadisten wird sich ihr „Kalifat“, eine vor fast hundert Jahren verschwundene islamische Staatsform, einmal von der Region Aleppo im Norden Syriens bis zur Region von Diyala im Osten des Irak erstrecken. So kündigte es Sprecher Abu Mohammed al-Adnani in einer Audiobotschaft am Tag der Proklamation Ende Juni an.
Die IS hatte Anfang Juni im Irak eine Blitzoffensive gestartet und die Millionenstadt Mossul und weite Gebiete im Nord- und Zentralirak erobert. Auch in Syrien weiteten ihre Kämpfer das Einflussgebiet aus. Die Gruppe ist wegen ihrer großen Brutalität und der unbarmherzigen Durchsetzung einer extremen Form des Islam gefürchtet. Zu ihren Schreckensmethoden gehören Massenexekutionen, Steinigungen, Auspeitschungen und auch Kreuzigungen.
„Die Männer sind im Bus sind nicht bewaffnet, aber Fahrzeuge mit Bewaffneten eskortieren den Bus“, beschreibt der syrische Rebell Abu Kuteiba al-Okaidi die Businsassen. Die „meisten von ihnen sind Ausländer.“ Sie sprächen Englisch miteinander und trügen die „von Jihadisten bevorzugte Kleidung nach afghanischem Stil.“ Im Bus geben es einen Übersetzer, der die Route ansage.
„Zweimal pro Woche fahren die Tourbusse, am Mittwoch und am Sonntag“, sagt ein andere Aktivist aus Raqqa, Abu Ibrahim al-Raqqawi. „Es funktioniert wie jedes andere Busunternehmen“, nur dass die Gebiete unter IS-Kontrolle wie ein einziger Staat behandelt würden. Vielen Insassen, insbesondere wenn ihre Stammesverwandtschaftsbeziehungen über die Grenze reichten, sei dies gerade recht. Andere seien pragmatisch eingestellt, weil sie den Bus nutzten, um „Geschäften nachzugehen“. Und wieder andere wollten einfach mal mit dem Bus raus aus dem Bürgerkriegsland Syrien, um „eine Pause vom Beschuss“ zu haben.