Rüder Umgang mit Kritikern der Gaza-Offensive in Israel

Tel Aviv/Gaza (APA/dpa) - In Zeiten des Kriegs ist in Israel nur der Schulterschluss gefragt - mit Kritik eckt man in der emotional aufgelad...

Tel Aviv/Gaza (APA/dpa) - In Zeiten des Kriegs ist in Israel nur der Schulterschluss gefragt - mit Kritik eckt man in der emotional aufgeladenen Lage schnell an. Israelis, die auch die zivilen Opfer der anderen Seite bedauern, erfahren dies zum Teil am eigenen Leib.

Die israelische Komikerin Orna Banai hat in diesen Tagen nichts zu lachen. Nach kritischen Äußerungen über die Gaza-Offensive der israelischen Armee brach ein wahrer Shitstorm über die 47-Jährige herein, die sonst als echter Publikumsliebling gilt. Ihr „Verbrechen“: In einem Interview hatte sie die aufgeheizte anti-arabische Stimmung in Israel kritisiert, sich als „verrückte Linke, die Araber liebt“ bezeichnet und gesagt: „Ich schäme mich für mein Volk.“ Ihre Facebook-Seite musste sie schließen, nachdem es Beschimpfungen und Todesdrohungen gehagelt hatte.

Der israelische Kreuzfahrtveranstalter Mano, für den Banai Werbeträgerin war, feuerte die Komödiantin kurzerhand. „Wir sind für eine öffentliche Diskussion, aber nicht in diesen schweren Tagen“, teilte Mano mit.

Anders als in den Palästinensergebieten herrscht in Israel Presse- und Meinungsfreiheit. In den Medien wird oft harte Kritik an der Regierungspolitik geäußert. Wer in Kriegszeiten nicht die Meinung der Mehrheit vertritt, gilt aber trotzdem schnell als Nestbeschmutzer oder sogar als Verräter. „Geht doch nach Gaza!“ wird Israelis entgegengeschleudert, die Mitleid mit getöteten Zivilisten auf der anderen Seite äußern.

Banai, die einer in Israel sehr anerkannten und beliebten Musiker- und Schauspielerdynastie angehört, ist nicht die Einzige, die mit ihren Äußerungen aneckt. Der für seine besonders kritische Haltung bekannte Journalist Gideon Levy wurde bei einem Besuch in der Küstenstadt Ashkelon von einer wütenden Menge bedrängt und wüst beschimpft.

Er hatte in einem Meinungsartikel die Angriffe israelischer Kampfpiloten im Gazastreifen als „schlimmste, grausamste und verabscheuungswürdigste Taten“ verurteilt. „Sie sitzen in ihrem Cockpit, drücken auf Knöpfe und bedienen Joysticks“, schrieb Levy über die Piloten. „Es ist ein Kriegsspiel, sie entscheiden über Leben und Tod.“ Die Kampfpiloten haben in Israel Heldenstatus und gelten vor allem in den Orten, die am meisten unter Raketenangriffen aus dem Gazastreifen zu leiden haben, als Lebensretter. Daher reagierten viele Israelis besonders empört auf Levys Kritik.

Auch linksorientierte Demonstranten in Haifa und Tel Aviv, die gegen den Gaza-Krieg protestierten, wurden von ultrarechten Israelis attackiert. Besonders arabischen Israelis wird bei kritischen Äußerungen schnell vorgeworfen, sie wollten sich mit dem Feind verbrüdern. Viele von ihnen fühlen sich daher seit Beginn der jüngsten Eskalation unter einem ständigen Rechtfertigungsdruck. Der in Israel sehr bekannte arabische Schriftsteller Sayed Kashua, der seine Texte auf Hebräisch verfasst, kündigte in einem wütend-traurigen Artikel an, er wolle Jerusalem für immer verlassen. „Die jüdisch-arabische Koexistenz ist gescheitert“, schrieb Kashua über die Stimmung im Land.

Die christliche Araberin Mira Awad war 2009 gemeinsam mit der jüdischen Sängerin Achinoam Nini beim Eurovision Song Contest mit dem Friedenslied „Es muss einen anderen Weg geben“ angetreten. Jetzt wird sie immer wieder bedroht und beschimpft, unter anderem als „Hamas-Anhängerin“. Awad ist wie Kashua zutiefst deprimiert über die Lage, hat aber noch nicht aufgegeben. Sie hat die Internet-Kampagne „Spread the Light“ (Das Licht verbreiten) angestoßen, unter dem Motto „Palästinenser und Israelis sind nicht dazu verdammt, Feinde zu sein“.

Die Resonanz auf die versöhnliche Kampagne ist groß. Doch auch Awad weiß nicht, wie das immer wiederkehrende Blutvergießen in Nahost enden soll. „Ich würde jedes Kind in Gaza und Sderot mit meinem eigenen Körper beschützen, aber ich kann es nicht“, schrieb Awad. „Ich würde mich sogar mit meinem schlimmsten Feind an den Verhandlungstisch setzen, wenn dies das Töten stoppen würde und wenn es von mir abhinge. Aber das tut es nicht - und das ist wirklich frustrierend.“