„Alperer, Alperer, ho!“
Man kann über das Jodeln schmunzeln, doch der traditionelle Gesang ist alles andere als einfach. Wie gut, dass es den „Schwaizer Zwoag’sang“ gibt, der Laien in einem Schnupperkurs stilechtes Jodeln beibringt.
Von Miriam Hotter
Innsbruck –Es gibt Dinge beim Jodeln, die gehen gar nicht. Unfreundlich sein. Auf den Text konzentrieren. „Sie“ zueinander sagen. „Wir singen ja holleri-du-di und nicht holleri-sie-di“, sagt Reinhard Schwaizer zu uns Anfängern. Wir – das sind acht Tiroler aus allen Alters- und Berufsschichten, die sich an diesem Abend bei einem Grundkurs des Schwaizer Zwoag’sang in die Geheimnisse des Jodelns einführen lassen.
Etwas verlegen und erwartungsvoll steht die kleine Gruppe im Halbkreis in einem Seminarraum des Audioversums in Innsbruck. Reinhard Schwaizer (65) und seine Frau Martha (64) kennen die Situation. Seit rund einem Jahr geben sie Jodelseminare, in denen das Ehepaar aus Mils bei Hall zeigen will, dass jeder Jodeln lernen kann. „Die Leute wollen singen, deshalb sind sie ja da. Nur haben viele seit Jahren nicht mehr gesungen. Da fehlt oft nicht nur die Stimme, sondern auch ein bisserl Mut.“
Um das Ganze aufzulockern, sollen die Teilnehmer erst einmal mit den Profis mitsingen. „Jetzt rufen wir gemeinsam ‚Ju-hu-hu-hui‘ – und alle!“, sagt Reinhard Schwaizer und hebt beide Arme in die Luft. Leise und zaghaft hallt es zurück, doch die erste Hemmung ist überwunden.
Nur das mit dem Text will nicht richtig funktionieren, wie der nächste Jodler zeigt. War es nun „Holertütolitütü“ oder „Holeretitütü“? „Die Silben sind nicht so wichtig, es kommt nur auf das Mitsingen an“, meint Martha, als sie in die verwirrten Gesichter blickt. Die beiden teilen absichtlich keine Noten aus, damit sich die Teilnehmer völlig auf das Hören und ihre Stimmen konzentrieren können. „Lasst uns den Alperer-Jodler singen, der ist leichter“, schlägt ihr Mann vor und stimmt den ersten Ton an. Hätten wir nicht ständig den verschmitzt lächelnden, ergrauten Mann im rot karierten Hemd vor uns, es wäre wie damals im Schulchor. „Djä dü ei ho – djä dü ei ho – Alperer, Alperer, ho!“, klingt es aus den Kehlen. Und: es hört sich gar nicht einmal so schlecht an. Zumindest nicken die Profis zufrieden.
Das, was einen Profi vom Laien unterscheidet, ist das sogenannte „Schnaggeln“. „Das ist der nahtlose Übergang von der Kopf- auf die Bruststimme“, erklärt die 65-Jährige und gibt sofort eine Hörprobe zum Besten. Der Kehlkopfschlag ist genau zu hören. Stolz schaut Reinhard auf seine Frau. „Niemand beherrscht ihn so wie sie.“
Die beiden sind seit 45 Jahren verheiratet und haben drei Söhne, mit denen sie früher gemeinsam musizierten. Heute ist das Ehepaar alleine unterwegs und präsentiert Gästen auf Hochzeiten oder Geburtstagsfeiern ihre Jodler.
Zur Unterhaltung diente der Gesang aber nicht immer. In längst vergangenen Tagen war Jodeln ein Kommunikationsmittel. „Die Leute in den Alpen merkten, dass man gesprochene Sätze über weite Entfernungen schlecht versteht. Sie kamen darauf, bestimmte Silben und Tonfolgen zu kombinieren, die auf große Entfernung hin gut wahrgenommen werden konnten“, erzählt der 65-Jährige von früher.
Um ein bisschen das Gefühl „von früher“ in den Seminarraum zu holen, projiziert das Ehepaar persönliche Bergfotos auf eine weiße Wand. Auf einem Bild sehen die Kursteilnehmer die beiden auf der Umbrüggler Alm auf der Innsbrucker Nordkette. Auf einem anderen Foto sitzen die beiden bei sonnigem Wetter vor einer Südtiroler Alm.
Passend zu den Fotos singen alle den Jodler „Gehn ma über d’Alma“. Reinhard Schwaizer hebt seine Hand etwa auf Stirnhöhe, atmet tief ein und lässt den unglaublich hohen Ton „Düüüüüüüüüüüü“ los. Unvorstellbar, gleich in Kopfstimme so etwas von sich zu geben. Das erste „Dü“ schwankt noch, klettert aber dann doch hinauf bis unter die Schädeldecke. Die Herren haben größere Probleme. Einer zieht die Stirn kraus, ein anderer dreht die Augen gen Himmel, es nützt nichts. „Ihr seid’s noch im Bass“, lacht Reinhard. Die anderen stimmen mit ein. Auch wenn am Ende aus den Teilnehmern keine Profi-Jodler geworden sind, haben sie gelernt, dass Jodeln nichts mit Perfektion zu tun hat, sondern mit Spaß. Und wie sich nach Tagen noch herausstellt: mit Ohrwürmern: „Alperer, Alperer, ho!“