Psychiatrischer Krisendienst könnte nach 30 Jahren kommen
Das Land Tirol ist sehr bemüht, die Versorgung psychisch Kranker zu bewerkstelligen. Ein eklatanter Mangel soll nun behoben werden.
Von Alexandra Plank
Innsbruck –„Es kann jedem passieren“, sagt Alexander Pointner, ehemaliger Startrainer des ÖSV, zum Thema psychische Krankheiten. Ein halbes Jahr befand sich der Tiroler in einem Zustand, der sich nur sehr schwer beschreiben lässt, wie er erzählt. „Natürlich ist mir gut zugeredet worden, aber das hat alles nicht geholfen. Ich war hin- und hergerissen zwischen einer unheimlichen Unruhe und kompletter Antriebslosigkeit. Es konnte mir passieren, dass es mir gut ging, wenn ich ins Bett ging und beim Aufwachen war es wieder die Hölle.“
Pointner machte das einzig Richtige, er nahm professionelle Hilfe in Anspruch. „Das ist mir leichtergefallen, weil mein Sohn zuvor schon wegen Depressionen an der Klinik behandelt wurde“, so Pointner. Sein Outing im Radio habe zu zahlreichen positiven Reaktionen geführt. „Es ist unglaublich, wie viele Menschen dieses Thema betrifft und wie sehr es immer noch totgeschwiegen wird.“ Rund 180.000 Tiroler, das sind 25 Prozent der Einwohner, erkranken im Laufe des Lebens an einer psychischen Krankheit. 35.000 mit schweren chronischen Verläufen. Mitbetroffen ist immer auch das familiäre Umfeld, mit jeder erkrankten Person drei bis fünf Personen, darunter auch viele Kinder.
„Man kann also sagen, dass praktisch jeder Tiroler zumindest mittelbar von psychischen Krankheiten betroffen ist“, sagt Norbert Erlacher von HPE-Tirol (Hilfe für Angehörige psychisch erkrankter Menschen in Tirol). Er hat durch eine Petition im Vorjahr eine Enquete zur psychischen Versorgung in Tirol angestoßen und dabei ganz klare Forderungen an Politik, Versicherungsträger und medizinisches Personal formuliert. Laut Erlacher brauche es dringend einen mobilen aufsuchenden psychiatrischen Krisendienst. Dieser müsse rund um die Uhr im Sinne der UN-Konvention zur Gleichbehandlung psychisch Erkrankter mit anderen Patienten zur Verfügung stehen. „Menschen mit psychischen Erkrankungen benötigen spezifische Akutinterventionen, die der notärztliche Dienst nicht abdeckt“, so Erlacher.
Bei der Enquete im Juni hatte Hartmann Hinterhuber, Präsident von „pro mente Tirol“ angeregt, den psychiatrischen Notfalldienst derart zu organisieren, dass Notärzte entsprechend psychiatrisch geschult und Krankenpfleger mit psychiatrischem Diplom eingebunden werden. Laut Soziallandesrätin Christine Baur wird derzeit ein Notfall-Konzept für das Oberland ausgearbeitet, das bei Funktionieren auf ganz Tirol ausgeweitet werden soll. Für Andrea Haselwanter-Schneider, Liste Fritz, ist ein psychiatrischer Notdienst das Gebot der Stunde. „Es kann nicht sein, dass man rund um die Uhr beim Tierschutzverein anrufen kann, wenn ein Tier in Not ist, aber wenn ein Mensch leidet, wird er alleine gelassen.“ Es ärgere sie, wie mit psychisch Kranken umgegangen werde. „Obwohl immer mehr Menschen betroffen sind – was nicht zuletzt auch auf die steigende Arbeitslosigkeit zurückzuführen ist – wird immer mit den hohen Kosten argumentiert“, sagt Haselwanter-Schneider. Andererseits habe die Landesregierung kein Problem damit, sich um 900.000 Euro ein zusätzliches Haus in Brüssel zu kaufen.
Auch Gabi Schiessling (SPÖ) macht sich für die bessere Versorgung psychisch Kranker stark. Es brauche mehr stationäre und ambulante Einrichtungen, da immer wieder Betroffene von den Kliniken vertröstet werden müssten, bis ein Bett frei werde. Positiv sei der geplante Bau der Kinderpsychiatrie in Hall, allerdings sei die Anzahl der geplanten Betten viel zu niedrig. Ein weiteres brennendes Thema ist die Versorgung mit psychiatrischen Kassenärzten. Die Versorgung durch Fachärzte für Psychiatrie erfolgt derzeit nur durch 14 niedergelassene Vertragspsychiater. Mit der Ärztekammer wurde eine Aufstockung um drei Stellen fixiert. Weiters sind für Tirol fünf Vertragsärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie festgelegt. „Die Wartezeit bei einem Kassenpsychiater beträgt bis zu drei Monate. Das ist ein Wahnsinn, wir wissen, dass psychische Krankheiten potenziell tödlich enden können“, sagt Erlacher. 2013 begingen in Tirol doppelt so viele Menschen Selbstmord (91) wie im Straßenverkehr ums Leben kamen (46).
Hilfe in Tirol
Krankenhäuser Wenn es in der Nacht oder am Wochenende zu einem Krisenfall kommt, eine Psychiatrie aufsuchen.
Hausarzt Ein wichtiger Ansprechpartner ist der Hausarzt. Beratung bietet auch der Psychosoziale Dienst von pro mente tirol (Tel. 0512/58 90 51). Immer erreichbar ist die Telefonseelsorge, Tel. 142. Notfälle wenden sich auch an die Ambulanz der Klinik für Psychiatrie, Tel. 504/23648.