Literatur

Das Prinzip Bestseller

Derzeit erscheinen mehr Bücher als jemals zuvor, aber in den Fokus der Leserinnen und Leser gerät lediglich ein kleiner Bruchteil davon.Foto: dpa/Marijan Murat
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Medial versierte Autoren und die heimlichen Herren des Buchmarktes: Dem Erfolg eines Buches gehen penible Überlegungen voraus. Um Literatur geht es dabei nur am Rande.

Von Joachim Leitner

Innsbruck –In ihrem neuen Buch „Nachkommen.“ beschreibt Marlene Streeruwitz den Literaturbetrieb als Branche, in der kaum über Texte, aber viel über Bücher als zu verkaufende Produkte und noch mehr über Umsatzzahlen und Vermarktungsstrategien geredet wird. Auf die einschlägigen Bestsellerlisten hat es die vielfach ausgezeichnete Streeruwitz mit „Nachkommen.“ trotz durchwegs wohlwollender Kritiken bislang nicht geschafft. Dort regieren seit Wochen Titel wie Daniel Glattauers „Die Wunderübung“, Jonas Jonassons „Die Analphabetin, die rechnen konnte“ oder der Tiroler Bernhard Aichner mit seiner mörderischen „Totenfrau“. Bücher also, die offensiv beworben werden und in mannshohen Stapeln in den Eingangs- und Kassenbereichen großer Buchhandelsketten wie Thalia oder Hugen­dubel angeboten werden. Dass Verlage für diese herausragenden Platzierungen hohe Summen bezahlen, gilt in der Branche als „offenes Geheimnis“. Dass weniger finanzstarke oder unabhängige Verlage dieses Spiel nicht mitmachen können, auch.

Diese müssen, wie der Innsbrucker Verleger und Buchhändler Markus Hatzer (Haymon Verlag) erklärt, „andere Möglichkeiten finden, um ihre Titel ins Gespräch zu bringen“. Hier sei vor allem das Internet eine große Chance. Hatzer: „Bei der digitalen Mundpropaganda in sozialen Netzwerken herrscht Chancengleichheit.“

Denn eines ist klar: Auch Verlage, die kein Teil global agierender Medienkonzerne wie Bertelsmann sind, brauchen Verkaufschlager, um weniger publikumsträchtige Bücher mitzufinanzieren. Die lange Jahre gefeierte und immer wieder öffentlich zu Grabe getragene „Suhrkamp-Kultur“ war nicht nur das Produkt herausragender Dichter und Denker, sondern eben auch von millionenfach verkauften Hermann-Hesse-Ausgaben und den Bestsellern von Isabel Allende. „Diese Form der Querfinanzierung ist so alt wie der Literaturbetrieb“, sagt Hatzer.

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Aber der Betrieb hat sich auch verändert: Zurzeit erscheinen mehr Bücher als jemals zuvor, was zur Folge hat, dass ein Titel weniger Zeit hat, um auf dem Markt zu reüssieren. Außerdem belegen Studien: Es sind weniger Vielfalt und Breite eines Programms, die das ökonomische Überleben eines Verlages sichern, sondern einige marktgängige Spitzentitel.

Im Zuge dieser Entwicklung hat sich auch die Rolle der Autoren verändert: „Gefragt ist nun auch performative Kompetenz“, erklärt Literaturkritikerin Sigrid Löffler. Den Marketing-Abteilungen der Verlage gehe es vor allem bei Debütanten eher um Design und Styling als um literarischen Stil. „Nicht die Bücher, die Autoren selbst sollen das Produkt sein, das vermarktet wird.“ Die jüngere Autoren-Garde habe inzwischen längst verinnerlicht, „dass sie über vielfältige, mediale Fertigkeiten verfügen muss, wenn sie als Fulltime-Autoren im Geschäft bleiben möchte.“ Kurzum: Autoren stehen weit mehr in der Öffentlichkeit als noch vor einigen Jahren. Aber seines eigenen Glückes Schmied ist selbst ein medial versierter Schriftsteller nicht. Löffler: „Das Geschehen auf dem Buchmarkt wird von Figuren gesteuert, die im Hintergrund umso stärker wirksam sind, je weniger sie dem Lesepublikum bewusst werden: Marktstrategen, Verlagsscouts, Lektoren, Literaturagenten und die Chef-Einkäufer der großen Buchhandelsketten bestimmen, welche Bücher dem Publikum überhaupt vor Augen kommen.“ Und letztlich sind es diese Figuren, die darum bemüht sind, aus einem Text einen Bestseller zu machen, der Zehntausende Male über den Ladentisch wandert.

Dass ein solcher Verkaufserfolg wirklich planbar ist, glauben weder Markus Hatzer noch Sigrid Löffler. Aber es gebe gewisse Erfolgsfaktoren, die ein potenzieller Bestseller aufweisen muss, präzisiert Löffler: Ein aus den Medien bekannter Name erleichtert die Wiedererkennung und ein möglichst weltweit anschlussfähiger Stoff ermöglicht „einen dynamischen Verwertungsprozess in kataraktartigen Stufen: Das Buch muss weltweit verständlich, verfilmbar, multimedial weiter verformbar und all-age-kompatibel, sprich sowohl für jugendliche als auch für erwachsene Leser, geeignet, sein.“ Wenn – wie im Falle der „Harry-Potter“-Reihe – diese Anforderungen beispielhaft erfüllt werden, steht einem literarischen Welterfolg nichts mehr im Weg.