Gazas gestrandete Familien - Massenflucht vor dem Krieg

Gaza/New York (dpa) - Überfüllte Flüchtlingslager, zwischen die Fronten geratene Familien, traumatisierte Kinder. Der Konflikt im Gazastreif...

Gaza/New York (dpa) - Überfüllte Flüchtlingslager, zwischen die Fronten geratene Familien, traumatisierte Kinder. Der Konflikt im Gazastreifen macht den Zivilisten das Leben zur Hölle. Im Hof der bahrainischen Schule im Südwesten der Stadt Gaza spielen ein paar Kinder Fußball. „Gibt es einen Waffenstillstand?“, fragen sie jeden Besucher, den es hierher verschlägt. „Wann ist der Krieg zu Ende?“

Die Tische aus den Klassenzimmern sind in den Korridoren aufeinandergestapelt, um Platz zu schaffen. Ursprünglich vom Golfkönigreich Bahrain gestiftet, steht die Schule im Stadtteil Tal al-Hawa nun unter dem Schutz des UN-Flüchtlingshilfswerks UNRWA. Sie beherbergt 800 Menschen, die aus den umkämpften Teilen von Gaza geflohen sind. Jeweils zwei Familien mit bis zu 20 Personen teilen sich ein Klassenzimmer.

Die Einrichtung ist überfüllt. Männer sitzen draußen im Freien im Schatten, während drinnen Frauen ihre weinenden Babys zu beruhigen versuchen. Auf den blauen Balkonen hängt Wäsche zum Trocknen. Das Leitungswasser ist untrinkbar, weil die Kläranlagen in Gaza wegen der ständigen Stromausfälle nicht arbeiten. Auch fehle es an Hygieneartikeln, Decken und Schlafsäcken, sagt UNRWA-Sprecher Chris Gunness. „Aber das größte Problem ist die Überfüllung.“

Die hier gestrandeten Menschen sind Teil des Flüchtlingsstroms aus dem schwer umkämpften östlichen Stadtteil Shejaia. Mehr als 170 000 Menschen mussten nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Oxfam schon fliehen. 141 000 von ihnen, die meisten aus Shejaia, suchen in insgesamt 80 Unterkünften der UNRWA Schutz. Zumeist sind das Schulen, die jetzt im Sommer leer stehen.

Und selbst die Sicherheit dort kann trügerisch sein. Am Donnerstag berichten palästinensische Augenzeugen von einem israelischen Granatenangriff auf eine UN-Schule voller Flüchtlinge in Beit Hanoun im nördlichen Gazastreifen. Mindestens 15 Menschen sollen getötet und mehr als 200 verletzt worden sein.

Bei den Kämpfen in Shejaia wurden seit dem vergangenen Wochenende mehr als ein Dutzend israelische Soldaten und mehr als 100 Palästinenser getötet, die meisten von ihnen Zivilisten. Viele Bewohner wollten nicht fliehen - ihnen graute bei der Aussicht auf die überfüllten Flüchtlingslager, oder sie hingen einfach nur an ihrem bescheidenen Besitz. Israel erklärt wiederum, in Shejaia Kommandozentralen und Tunnel der militant-islamischen Hamas auszuschalten. Fotos, die die Streitkräfte veröffentlichten, zeigen von der Armee im Häuserkampf eroberte Bunker und unterirdische Gänge.

Der 20-jährige Mohammed Said ist gerade erst aus Shejaia in die Schule in Tal al-Hawa geflohen. „Viele Häuser sind zerstört“, berichtet er. „Unter den Trümmern liegen immer noch viele Tote. Wegen des Beschusses kann man sie nicht bergen.“ Nach drei Tagen des Infernos - „ich glaubte, das sei das Ende der Welt“ - entschloss sich ein Teil seiner Familie zur Flucht.

Jetzt sind auch die Saids in der bahrainischen Schule. Da sind sie hoffentlich vorerst sicher, aber die Umstände sind hart. „Ist das ein Leben?“, hadert Mohammeds 60-jährige Mutter Um Samir Said mit dem Schicksal. „Wir haben unsere Häuser verlassen und wissen nicht einmal, wer tot und wer noch am Leben ist.“

Besonders verheerend wirkt sich der Krieg auf Kinder aus. Nach Zählung der UN-Organisation OCHA (Büro für die Koordinierung der humanitären Hilfe) sind bisher 74 Frauen und 147 Kinder durch Bombardements und Kampfhandlungen in der dicht besiedelten Mittelmeer-Enklave ums Leben gekommen. Mehr als 100.000 Kinder sind nach Schätzung humanitärer Helfer durch den Verlust von Angehörigen, Entwurzelung aus ihrem Heim oder schreckliche Kriegsbilder traumatisiert. Sie bräuchten professionelle Hilfe, die es im Gazastreifen aber kaum gibt.

„Ich bin sehr traurig und habe immer noch Angst, dass die Panzer auch hierher kommen und auf uns schießen“, sagt die elfjährige Farrah in der bahrainischen Schule. Die Leichen, die sie bei der Flucht aus Shejaia am Straßenrand hat liegen sehen, könne sie nicht vergessen. „Die Bombenexplosionen höre ich immer noch in meinen Ohren.“