USA streiten über Flüchtlingskrise: Wohin mit den ganzen Kindern?
Washington (APA/dpa) - Politiker kämpfen mit den Tränen und regierungstreue US-Staaten weisen verzweifelte Bitten aus Washington zurück. Die...
Washington (APA/dpa) - Politiker kämpfen mit den Tränen und regierungstreue US-Staaten weisen verzweifelte Bitten aus Washington zurück. Die Kinder an der Grenze werden für die USA zur politischen No-Win-Situation.
Plötzlich sind die Zäune da. Fast über Nacht haben Bauarbeiter die leer stehende Lagerhalle im texanischen McAllen in ein Flüchtlingslager für Kinder aus Zentralamerika verwandelt und die 5000 Quadratmeter Fläche mit hohem Maschendraht durchzogen. Auf Fotos von Lokalmedien erinnern die Parzellen an Hundezwinger. Es gibt mobile Toiletten, Schlafmatten und Fernseher, die Zeichentrickfilme zeigen sollen. Rund 1.000 Kinder sollen hier bald Platz haben.
Mit ihrem neuen „Bearbeitungszentrum“ versucht die hoffnungslos überforderte Grenzbehörde CBP, den massenhaft in die USA strömenden Kindermigranten und -flüchtlingen etwas entgegenzusetzen. Mehr als 57.000 unbegleitete Kinder erreichten die Grenze seit Oktober 2013, bis Ende September dürften es nach offiziellen Schätzungen rund 90.000 sein. Längst ist zwischen der US-Regierung, den betroffenen US-Staaten und deren Bürgern ein heftiger Streit darüber ausgebrochen, wo die Scharen an Kindern unterkommen sollen.
Bis ins ferne Neuengland sucht die US-Regierung nach Notunterkünften und bittet inständig um Mithilfe. Verzweifelt wandte sich die Katastrophenschutzbehörde FEMA auf der Suche nach Schlafplätzen nun an Interessenverbände im ganzen Land, berichtete die Zeitung „New Republic“. Geeignet seien Büros, Schlafsäle, Veranstaltungsräume, Großmärkte, Flugzeughangars, Einkaufszentren - so lange sie leer stehen und gepachtet werden können, heißt es im FEMA-Schreiben.
Für demokratische Gouverneure ist die seit Monaten schwelende humanitäre Krise zum politischen Drahtseilakt geworden. Einerseits wollen sie ihrem Parteikollegen, Präsident Barack Obama, unter die Arme greifen. Andererseits stoßen sie aufgebrachte Wähler vor den Kopf, die fürchten, dass die vielen Kinder das oft schon marode Sozialsystem ihrer Gemeinden belasten werden. Bill Richardson, der ehemalige Gouverneur von New Mexico, spricht von einer politischen „No-Win-Situation“.
Deval Patrick schluckte Tränen herunter, als er den Streit um die Aufnahme der Kinder mit einer ähnlichen Debatte um Opfer des Holocaust verglich. 1939 habe ein Schiff voller jüdischer Kinder vergeblich versucht, in die USA zu kommen. „Die Vereinigten Staaten wiesen sie ab, und viele von ihnen kamen in Nazi-Konzentrationslagern zu Tode.“ Als der Gouverneur von Connecticut, Dan Malloy, vergangene Woche eine Anfrage ablehnte, bis zu 2000 Kinder unterzubringen, bettelte eine Kommission für Latinos und Puertoricaner, seine Entscheidung zu überdenken. Mehrere Kommissionsmitglieder brachen vor lauter Verzweiflung in Tränen aus, berichtete die „Washington Post“.
Um 3,7 Milliarden Dollar (2,75 Mrd. Euro) hat Obama den Kongress gebeten, knapp die Hälfte soll für Unterkunft und Pflege der bitterarmen Kinder verwendet werden. Mit den Präsidenten von Guatemala, Honduras und El Salvador - Otto Perez Molina, Juan Orlando Hernandez und Salvador Sanchez Ceren - will er am Freitag auch über die mögliche Abschiebung der Kinder sprechen.
Die US-Regierung betreibt allein an der Grenze zu Mexiko rund 100 dauerhafte Unterkünfte - doch täglich lesen Grenzpolizisten allein im Rio Grande Valley in Texas Hunderte neue Kinder auf, die eine lebensgefährliche Reise durch Mexiko auf sich genommen haben, um vor Gewalt, Kriminalität und schlechten wirtschaftlichen Aussichten in ihren Heimatländern zu flüchten.
Phillip Burch, Bürgermeister der Kleinstadt Artesia in New Mexico, fürchtet eine Bevölkerungsexplosion. „Unsere Gemeinde kann über Nacht nicht 2000-3000 neue Bewohner stützen“, sagte er. Gleich sechs republikanische Gouverneure wandten sich in einem Brief an Obama und forderten, die Kinder abzuschieben. „Wir sind besorgt, dass bedeutende Zahlen die in großen Teilen von den Bundesstaaten finanzierten öffentlichen Schulen, Sozialleistungen und Gesundheitssysteme nutzen werden“, schreiben sie.
Colorados Gouverneur John Hickenlooper stellte klar, was viele Politiker öffentlich nur ungern sagen wollen: „Wie auch immer wir mit den humanitären Aspekten dieser Sache umgehen, wir müssen es so kosteneffektiv wie möglich tun.“