Ausbeutung von Migranten kein „Privileg“ der Sexarbeit
Wien (APA) - Etwa 97 Prozent der in Wien registrierten Sexarbeiterinnen stammt nach aktuellen statistischen Daten der Polizei aus dem Auslan...
Wien (APA) - Etwa 97 Prozent der in Wien registrierten Sexarbeiterinnen stammt nach aktuellen statistischen Daten der Polizei aus dem Ausland. Sie haben nicht nur mit der Stigmatisierung als Prostituierte und mit Ausbeutung zu kämpfen, sondern auch mit Problemen, die viele Migrantinnen betreffen: „Es handelt sich um Probleme der Integration und des Lebens in Österreich“, so Renate Blum vom Verein LEFÖ.
So gehe es bei den Beratungsgesprächen neben der Sexarbeit ebenso um fehlende Meldezettel, oder die Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche, die sich ergeben, wenn man keinen Gehaltsnachweis vorweisen kann. „Outen sich die Frauen, stoßen sie auf Vorurteile und jemand anderer bekommt die Wohnung“, berichtete Blum aus der Praxis. Die Profiteure der Stigmatisierung sind unter anderem Wohnungsanbieter, die das ausnutzen und von den Sexarbeiterinnen dann horrende Mieten verlangen.
Doch das große Geld sei mit Prostitution nur noch im Einzelfall zu machen, laut den Streetworkerinnen ist die Armut bei den migrantischen Sexarbeiterinnen hoch. „Es gibt jedoch große Unterschiede, was das Einkommen betrifft“, so Blum.
Die Wissenschafterin Helga Amesberger, deren Studie „Sexarbeit in Österreich“ Ende des Jahres erscheint, kritisierte im Gespräch mit der APA die medial nicht selten vorkommende Gleichsetzung von Sexarbeit durch Migrantinnen mit Menschenhandel und Zwangsprostitution. Das entspricht laut Amesberger in 90 bis 95 Prozent der Fälle nicht der Realität: „Fragt man die Betroffenen, so geht es darum, dass es den unfreiwilligen Aspekt gibt, sein Leben mit Erwerbsarbeit zu bestreiten“ - und so wählen viele Frauen dann Sexarbeit, da dies zumindest mehr Geld bringt, als wenn sie im Supermarkt Regale schlichten.
Ausbeutung findet dennoch statt, etwa wenn Frauen zu ungeschütztem Verkehr gezwungen werden, oder die Freier nicht selbst bestimmen können. Dies kann aber alle Sexarbeiterinnen betreffen, unabhängig davon ob sie zugewandert sind oder nicht. Und Ausbeutung ist dabei kein „Privileg“ der Sexarbeit, diese passiert überall dort, wo der Anteil an Migranten hoch ist, sei es im Pflegebereich, Tourismus oder im Baugewerbe. „Auch bei der 24-Stunden-Pflege erfüllen die ‚Neuen Selbstständigen‘ die Kriterien einer abhängigen Beschäftigung“, gibt Amesberger zum Thema Prostitution zu bedenken.
Doch geht es um prekäre Arbeitssituationen von Migranten, liege der Fokus in Österreich ausschließlich auf sexueller Ausbeutung und Menschenhandel. Eine Situation, die etwa in den Niederlanden nicht gegeben sei, denn dort würden alle genannten Bereiche von den Behörden gleichermaßen berücksichtigt werden.
Die nun gültige Lohnsteuer für „nicht selbstständige Sexarbeiter“ macht die Situation nicht besser. Die Höhe ergibt sich aus den dem Arbeitgeber bekannten Einnahmen, was zu der Befürchtung Anlass gibt, dass auch diese Kosten auf die Sexarbeiterinnen abgewälzt werden, befürchtet Amesberger. „Viele Frauen wechseln ständig die Sektoren, sie arbeiten im Bordell, auf der Straße und im Laufhaus“, wodurch diese Änderung auch wenig praktikabel sei.
Diese Mobilität macht auch nicht vor den einzelnen Bundesländern halt, die jedoch jeweils unterschiedliche Regelungen für die Ausübung der Prostitution haben. „Dadurch besteht nicht nur die Gefahr, diese behördlichen Auflagen zu verletzen. Es steigt auch die Abhängigkeit von Dritten, die diese Regeln kennen. Die Macht der Bordellbetreiber steigt, und damit ihr Potenzial, die Sexarbeiterinnen zu übervorteilen.“
Damit die Sexarbeiterinnen aus ihrer prekären Situation kommen, „ist es wesentlich und notwendig, die Stigmatisierung zu verringern, indem man ihre Tätigkeit als Arbeit anerkennt.“ So ist das in Neuseeland vor elf Jahren geschehen. Ebenso besteht für Amesberger die Notwendigkeit, vonseiten der Behörden die Sexarbeiterinnen endlich in geplante Maßnahmen einzubinden.