Salzburger Festspiele - Mitchell: Büchse der Pandora und U-Bahn-Zug

Salzburg/Hallein (APA) - Die englische Regisseurin Katie Mitchell, die im Februar in Wien Peter Handkes Erzählung „Wunschloses Unglück“ als ...

Salzburg/Hallein (APA) - Die englische Regisseurin Katie Mitchell, die im Februar in Wien Peter Handkes Erzählung „Wunschloses Unglück“ als Live-Stummfilm samt Making-of inszeniert hatte, zeigt ab 30. Juli auf der Perner-Insel in Hallein ein Auftragswerk für die Salzburger Festspiele. „The Forbidden Zone“ nach einem Text von Duncan Macmillan ist ein zentraler Teil des Schwerpunktes im Gedenken an den Ersten Weltkrieg.

APA: Frau Mitchell, Ihre erste Idee für „The Forbidden Zone“ war ein Abend über Mary Borden, eine Krankenschwester im Ersten Weltkrieg. Warum haben Sie das Thema geändert?

Katie Mitchell: Marys Bordens Erfahrung als Krankenschwester in einem Feldspital in Frankreich während des Ersten Weltkriegs hat auf mich einen starken Eindruck gemacht, als ich zum ersten Mal ihr Buch „The Forbidden Zone“ gelesen habe. Erst nach Monaten der Arbeit an diesem Material hat sich herausgestellt, dass es sehr schwierig sein würde, ihre Erfahrungen so umzusetzen, dass sie sowohl genügend Spannung für einen Theaterabend bieten als auch die ganze Bandbreite weiblicher Erfahrung im Ersten Weltkrieg umfassen könnte. Als ich dann auf die deutsche Chemikerin Clara Immerwahr aufmerksam wurde, die sich aus Protest gegen das Engagement ihres Gatten bei der Entwicklung von Giftgas umbrachte, hat mich ihre Geschichte elektrisiert. In ihr ist so viel von dem enthalten, was Frauen in diesem Krieg ausgezeichnet hat - eine Kombination aus Zorn, Machtlosigkeit und Wunsch, gegen die fortgesetzte Gewalt zu demonstrieren. Die Aufführung wird jetzt die Geschichten von Clara Immerwahr und von Mary Borden kombinieren. Wir werden auch die Geschichte von Claras Enkelin Claire Haber einflechten.

APA: Eine kürzlich gezeigter Fernsehfilm hat die Österreicher auf Clara Immerwahr aufmerksam gemacht. Was wollen Sie dem Salzburger Publikum über sie erzählen? Was ist der „Plot“?

Mitchell: Unsere Produktion konzentriert sich auf den Umstand, dass der Erste Weltkrieg die Geburtsstunde der Massenvernichtungswaffen bedeutet hat. Die Entwicklung und Einführung dieser Waffen war einzigartig, und der Einsatz der Wissenschaft zum Töten von Menschen anstatt zum Nutzen der Gesellschaft und zur Rettung von Leben war ein wesentlicher Wendepunkt für Wissenschaft und Kriegsführung. Fritz Haber war einer von vielen europäischen Wissenschaftern, die Chemikalien wie Phosgen oder Chlor auf ihre Tauglichkeit als Waffen untersuchten.

APA: Was macht Immerwahrs Schicksal so außergewöhnlich?

Mitchell: An Clara Immerwahrs Selbstmord interessiert uns besonders, dass ihr Protest ganz am Beginn der Entwicklung von Massenvernichtungswaffen gestanden hat und sie die erste in einer langen Reihe von dagegen protestierenden Frauen war, die bis in die Gegenwart reicht, etwa nach Syrien, wo neulich Chlorgas eingesetzt wurde. Für mich scheint es, als wäre sie an einem Punkt der Geschichte gestanden, wo es eine Chance gegeben hätte, diesen Prozess umzudrehen und den Beteiligung der Wissenschaft bei der Waffenentwicklung zu beenden. Sie war genau in dem Moment dabei, als der Deckel der Büchse der Pandora geöffnet wurde, und ihr Selbstmord war ein Versuch, diesen Deckel geschlossen zu halten. Ein Versuch, der traurig scheiterte.

APA: Wir haben kürzlich den 100. Todestag der ersten Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner begangen. War Clara Immerwahr eine ähnliche Heldin im Kampf um Frieden?

Mitchell: Ja, Clara Immerwahr sollte ebenso für ihre Versuche, den Krieg zu beenden, gefeiert werden.

APA: Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs ist jetzt 100 Jahre her. Alle Gedenktage haben im Grunde ein Ziel: Den Menschen bewusst zu machen, dass es immer bessere Lösungen als einen Krieg gibt. Ist das nicht ziemlich illusorisch, wenn man sich heute in der Welt umschaut?

Mitchell: Ich glaube nicht, dass dies eine Illusion ist. Die Leute daran zu erinnern, friedliche Lösungen von Konflikten zu suchen, ist niemals sinnlos. Gewalt ist eine übliche Reaktion auf Meinungsverschiedenheiten zwischen Staaten oder Leuten, aber wir sollten solche Gedenktage nutzen, um an einer Zukunft zu arbeiten, in der friedliche Lösungen zur Regel werden. Ich bin Optimistin und glaube an die Fähigkeit, uns weiterzuentwickeln und den Gewaltmustern der Vergangenheit zu entkommen

APA: In Ihrer Wiener Inszenierung von Peter Handkes „Wunschloses Unglück“ haben Sie intensiv Live-Video miteinbezogen. Ist das auch Teil Ihres Konzeptes für „The Forbidden Zone“?

Mitchell: Ja, wir werden die gleiche Live-Video-Technik verwenden. Diesmal werden es fünf Live-Kameras sein und vier Filmsets: ein sich bewegender U-Bahn-Zug, ein Berliner Haus aus dem 19. Jahrhundert, ein Chemielabor und ein belgisches Musterungsbüro. Zeitlich und räumlich werden wir uns zwischen April/Mai 1915 in Berlin und Ypern sowie dem Chicago des Jahres 1949 bewegen. Aus technischer Sicht wird das unsere bisher komplexeste und anspruchsvollste Aufführung. Das Publikum wird im Erdgeschoß den Filmdreh und auf einer darüber hängenden großen Leinwand den Film selbst sehen können.

APA: In Berlin haben Sie „Footfalls“ von Samuel Beckett und „Neither“ von Morton Feldman gemacht, danach haben Sie in Aix-en-Provence „Trauernacht“ inszeniert, einen Abend mit Bach-Kantaten. Das scheinen ziemlich unterschiedliche Dinge gewesen zu sein - oder haben sie etwas gemeinsam?

Mitchell: Nein, sie haben nichts gemeinsam außer meiner Liebe zu schöner Musik. Ich bin ein großer Fan von Bach und Feldman, obwohl ihre jeweiligen musikalischen Welten nicht unterschiedlicher sein könnten.

APA: „Trauernacht“ wird Sie wieder nach Wien führen. In unserem letzten Gespräch erzählten Sie von Ihrer großen Lust, ein Werk von Thomas Bernhard oder einen Roman von Elfriede Jelinek auf die Bühne zu bringen. Sind Sie diesem Ziel näher gekommen?

Mitchell: Wir sind so begeistert, dass wir „Trauernacht“ bei den Wiener Festwochen zeigen können, und es wird sehr interessant sein, die Reaktionen des österreichischen Publikums zu beobachten. Ich bin weiter scharf darauf, etwas von Jelinek oder Bernhard, deren Arbeit ich liebe, auf die Bühne zu bringen, aber mein Traum ist bis jetzt unerfüllt geblieben. Bis dahin tröste ich mich damit, bereits Prosa von zwei weiteren österreichischen Größen, nämlich Peter Handke und Friederike Mayröcker, aufgeführt zu haben.

(Die Fragen wurden von Wolfgang Huber-Lang/APA schriftlich gestellt.)

(S E R V I C E - „The Forbidden Zone“ von Duncan Macmillan, Regie: Katie Mitchell, Bildregie: Leo Warner, Bühnenbild: Lizzie Clachan, Kostüme: Sussie Juhlin-Wallen, Video: Finn Ross, Mit u.a.: Kate Duchene - Wissenschaftlerin, Ruth Marie Kröger - Clara Haber, Jenny König - Claire Haber, Felix Römer, Fritz Haber - Giorgio Spiegelfeld, Andreas Schröders - Wissenschaftler; Salzburger Festspiele, Koproduktion mit der Schaubühne am Lehniner Platz in Zusammenarbeit mit Prospero, Uraufführung auf der Perner-Insel Hallein: 30. Juli, 19.30 Uhr, Weitere Aufführungen: 31. Juli, 2., 3., 5., 7., 9., 10. August, Karten: 0662 / 8045-500, www.salzburgerfestspiele.at)

(AVISO - Im AOM sind Fotos der Produktion und der Regisseurin abrufbar.)