Gaza-Konflikt schürt Angst vor Syrien-Schläfern

Damaskus/Berlin (APA/Reuters) - Außenexperten warnen seit Wochen, dass die Konflikte im Irak, in Syrien und im Gaza-Streifen einen Flächenbr...

Damaskus/Berlin (APA/Reuters) - Außenexperten warnen seit Wochen, dass die Konflikte im Irak, in Syrien und im Gaza-Streifen einen Flächenbrand im Nahen Osten auslösen könnten. Jetzt schlägt die norwegische Polizei Alarm, dass die Kämpfe zwischen Israelis und der Hamas auch eine gefährliche Rückwirkung in Europa haben könnten.

Ganz offiziell warnen die Sicherheitsbehörden des skandinavischen Landes, dass militante Islamisten, die zuvor im syrischen Bürgerkrieg kämpften, in den kommenden Tagen Anschläge verüben könnten. In ganz Europa geht deren Zahl mittlerweile in die Tausende. Und die anti-israelischen Demonstrationen in europäischen Städten deuten nach Angaben von Sicherheitsbehörden darauf hin, dass sich die Stimmung in der islamistischen Szene durch den Gaza-Konflikt radikalisiert.

„Wir haben Informationen, die darauf hinweisen, dass ein Terroranschlag gegen Norwegen wahrscheinlich in den kommenden Tagen geplant ist“, warnte Benedicte Björnland, Direktorin der Sicherheitsabteilung der norwegischen Polizei, am Donnerstag. Ausdrücklich nannte sie dabei als Hauptgefahrenquelle die 50 aus Norwegen in den syrischen Bürgerkrieg gezogenen Islamisten.

Spätestens seit dem tödlichen Anschlag auf das jüdische Museum in Brüssel, das ein französischer Syrien-Rückkehrer im Mai verübte, sind die Behörden alarmiert. „Der Anschlag in Brüssel hat unsere Einschätzung bestätigt, dass von Rückkehrern aus den Kampfgebieten in Syrien eine erhebliche Gefahr ausgeht“, sagt der Präsident des deutschen Bundesverfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen.

Was die Sicherheitsbehörden alarmiert, ist vor allem die steigende Zahl der Islamisten, die auf Seiten sunnitischer Gruppen im syrischen Bürgerkrieg kämpfen wollen. Das deutsche Innenministerium sprach am Freitag davon, dass mehr als 320 Islamisten aus Deutschland Richtung Syrien ausgereist seien. Mehr als 100 Islamisten seien bisher zurückgekehrt, darunter mehr als ein Dutzend mit echter Kampferfahrung. „Sie haben durch die Kämpfe eine Radikalisierung und Brutalisierung durchgemacht“, sagt der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach.

Die Dunkelziffern, so warnt etwa der Islamismus-Experte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), könnte sehr viel höher liegen. „Dazu kommt, dass die meisten Islamisten aus Deutschland den Anschluss an die in Syrien und Irak aktive Isis-Miliz oder die Al-Nusra-Gruppe suchen.“ Beide Organisationen hätten einen sehr starken Anti-Israel-Bezug und verfolgten etwa die „Befreiung“ Jerusalems als Fernziel. Beide könnten nach Meinung von Steinberg den Gaza-Konflikt nun zur weiteren Profilierung auch in Europa nutzen. Deshalb werden jetzt auf den Anti-Israel-Demos Flaggen radikaler Islamisten-Gruppierungen geschwenkt - auch am Al-Quds-Tag am Freitag. Diesen hatte der iranische Revolutionsführer Ayatollah Ruhollah Khomeini 1979 eingeführt, um gegen Israel und für eine „Befreiung“ Jerusalems zu demonstrieren.

Und es trifft alle europäischen Länder: In Dänemark wird die Zahl militanter Islamisten, die nach Syrien gereist sind, auf 100 geschätzt, in Schweden auf 200 - wobei nicht jeder Kampferfahrung sammelt. Wie groß das Problem mittlerweile ist, hat das International Centre für the Study of Radicalisation (ICSR) in London deutlich gemacht. Bereits Ende Dezember 2013 hatte man beim ICRS geschätzt, dass die Zahl der Kämpfer in Syrien irgendwo zwischen 396 und 1937 liege. Seitdem dürften es viel mehr geworden sein.

„Die Zahlen schwanken nicht nur wegen der Dunkelziffer, sondern auch, weil einige nur die aktuell in Syrien befindlichen Islamisten zählen, andere dagegen diejenigen, die etwa in den vergangenen zwei Jahren dort waren“, sagt SWP-Experte Steinberg. Er schätzt, dass die größten Gruppen mit jeweils 700 bis 900 Personen aus Frankreich und Großbritannien kommen, gefolgt von Deutschland und Belgien. Steinberg geht deshalb von höheren Zahlen für Europa aus als das ICSR.

Dass das Problem radikalisierter Syrien-Rückkehrer ein europaweites ist, lässt sich schon daran ablesen, dass es auch Thema der Gespräche von Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Balkan-Ländern in Dubrovnik am 15. Juli war. Vor allem Bosnien-Herzegowina, wo Muslime die größte Bevölkerungsgruppe stellen, kämpft damit, dass die Rückkehrer in der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik versuchen, einen radikaleren Islam durchzusetzen.

Offiziell allerdings ist man zurückhaltend, was die reale Gefahr angeht. Das Problem sei nicht neu, und Deutschlands Innenminister Thomas de Maiziere habe mehrfach darauf hingewiesen, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Freitag. Es gebe keinen Anlass, die Bedrohungslage wie etwa in Norwegen hochzustufen. Beim Bundeskriminalamt wird allerdings darauf verwiesen, dass die Problematik „sehr, sehr ernst“ zu nehmen sei. Und auch Bosbach warnt als Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestages: „Unabhängig vom Gaza-Konflikt sind die Syrien-Rückkehrer die Gruppe, um die wir uns am meisten Sorgen machen.“ Das Thema sei deshalb sehr intensiv in der Sitzung des Innenausschusses mit Verfassungsschutz-Präsident Maaßen Anfang Juli besprochen worden.