Vor dem 100. Todestag: Neue Bücher zu Georg Trakl
Wien/Salzburg (APA) - So richtig ist das Interesse an Georg Trakl nie abgerissen. Erst vor zwei Jahren widmete sich mit „Tabu“ ein Film von ...
Wien/Salzburg (APA) - So richtig ist das Interesse an Georg Trakl nie abgerissen. Erst vor zwei Jahren widmete sich mit „Tabu“ ein Film von Christoph Stark dem expressionistischen Dichter. Vor seinem 100. Todestag am 3. November beschäftigt sich nicht nur ein Stück von Büchner-Preisträger Walter Kappacher, das 17. August bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt wird, mit Trakl, sondern auch einige neue Bücher.
Mit einem unmittelbaren Eindruck von Starks Trakl-Film beginnt der Germanist Rüdiger Görner das Vorwort zu seinem in diesen Tagen erscheinenden Buch „Georg Trakl. Dichter im Jahrzehnt der Extreme“: „Die Hauptrolle im Film hat der Inzest übernommen - umflort von farbgesättigten Bildern. Aus dem Drogenrausch der Geschwister entsteht ein filmischer Bilderrausch zwischen Bürgersalon und Gosse, bedrückenden Stadtszenen und scheinbar befreiender Natur“, schreibt Görner, der sich im übrigen in seiner Analyse kaum mit dem Leben, umso eingehender aber mit dem Werk des Salzburger Autors beschäftigt, und konzidiert später: „In einem hatte der Film recht. Trakl lebte nur, wenn er schrieb. Und er schrieb nur, wenn er Gedichte verfasste.“
Drogen und Inzest - „Tabu“ hatte sich treffsicher jene Themen herausgegriffen, die eine breitere Öffentlichkeit am Leben Trakls stets besonders interessierte. Wie weit die geschwisterliche Liebe ging, war immer wieder Gegenstand erregter Spekulationen. Trakl-Biograf Hans Weichselbaum winkt ab. „Zwischen Trakl und seiner Schwester Grete hat es niemals so etwas wie eine Blutschuld gegeben, was diesbezüglich in den Gedichten steht ist lediglich ein Aufrücken von Gedankensünde, die niemals in die Realität herübergegriffen hat“, zitiert er in seiner nüchternen, fakten- und quellenreichen Biografie Trakls engen Freund Erhard Buschbeck.
Weichselbaum, Leiter der Georg-Trakl-Forschungs- und Gedenkstätte, hat seine 20 Jahre altes Standardwerk über Trakl aus Anlass des 100. Todestags neu überarbeitet. Die Ereignisse der letzten Lebenswochen des Dichters, die Walter Kappacher zu seinem Stück „Der Abschied“ inspirierten, lesen sich bei ihm zwar ebenso tragisch, doch in ihrer Abfolge weit weniger dramatisch. Nachdem Trakl am 24. August 1914 mit einem Truppentransport von Innsbruck Richtung österreichisch-russische Front aufbrach, berichteten Feldpostkarten von einer „außerordentlich schönen“ Fahrt. „Es muss ein prächtiger Spätsommer gewesen sein, als das erste große Schlachten im Europa des 20. Jahrhunderts begann“, schreibt Weichselbaum.
Der als Medikamentenakzessist einem Feldspital zugeteilte junge Dichter musste zwar zwischen 8. und 11. September in der Schlacht im galizischen Grodek Grauenhaftes erleben und wurde von der Unmöglichkeit, das Leid der Schwerverwundeten zu lindern, tief verstört, doch der Biograf schildert ausführlich den anschließenden Weg in die Etappe. Nach Depressionen, Angstzuständen und einem Selbstmordversuch begann ein längerer Aufenthalt in einem Krakauer Garnisonsspital, wo Diagnose und Behandlung höchst diffus blieben. Bei einem Besuch seines Förderers Ludwig von Ficker gewann dieser den Eindruck, dass Trakl weniger aufgrund seiner Kriegserlebnisse sondern mehr seiner Dichtungen wegen „zum Kapitel ‚Genie und Wahnsinn‘“ gerechnet und daher unter Beobachtung gehalten wurde.
Nach Fickers Abreise verschlechterte sich Trakls Gemütszustand zusehends, in einem Brief vom 27. Oktober hieß es etwa: „Seit Ihrem Besuch im Spital ist mir doppelt traurig zu Mute. Ich fühle mich fast schon jenseits der Welt.“ Ob Trakl das Kokain, das der Apotheker bei sich versteckt hatte, mit Selbstmordabsicht genommen hat, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Am 3. November starb Georg Trakl 27-jährig an einer Überdosis.
Bei der Lektüre von Weichselbaums Trakl-Biografie hatte die Salzburger Schauspielerin Susanne Czepl-Zrost die Idee, Trakls Mutter Maria auf der Bühne zu Wort kommen zu lassen. „Ich konnte den Salzburger Schriftsteller Walter Müller gewinnen, den Monolog zu schreiben und Christoph und Ilona Lindenbauer für die musikalische Gestaltung von Gedichten und Musik zum Stück“, so Czepl-Zrost zur APA. Regie führt Klaus Ortner, die Premiere von „Mutter.Trakl“ im Schauspielhaus Salzburg findet am 2. November statt, dem Vorabend des Todestags.
„Ich konnte in der Vergangenheit und kann bis heute mit den Texten Trakls nicht viel ‚anfangen‘“, bekennt der Autor Hans Raimund in einer „Umfrage über Georg Trakl“ die von der Literaturzeitschrift „Literatur und Kritik“ kürzlich veranstaltet wurde, und an der sich u.a. Ferdinand Schmatz, Andrea Grill, Ann Cotten und Wolfgang Hermann beteiligt haben. „Wenige Autoren, die nicht von den Gedichten und dem Leben dieses vor hundert Jahren verstorbenen Dichters fasziniert gewesen wären“, schreiben die Herausgeber, „wenige, die auf ihrem Weg zur künstlerischen Eigenständigkeit nicht irgendwann der ersten Faszination durch Trakl auch wieder entsagt hätten.“
So findet etwa Gerhard Ruiss „Ein paar Gründe für das Lesen von Trakl als Leser und für das Abschütteln von Trakl als Autor“. Und Rüdiger Görner, selbst auch als Dichter tätig, kommt zum Schluss, Trakl als einem „lyrischen Spurenleger“ nachzugehen könne auch bedeuten, „die Trakl-Spurenelemente in Abwehrstoffe zu verwandeln, um nicht in der eigenen Lyrik ins ach so suggestive Trakln zu geraten“.
(S E R V I C E - Rüdiger Görner: „Georg Trakl. Dichter im Jahrzehnt der Extreme“, Zsolnay, 352 S., 25,60 Euro, ISBN 978-3-552-05697-8, Buchpräsentation am 4.11. in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur in Wien; Hans Weichselbaum: „Georg Trakl. Eine Biographie“, Otto Müller Verlag, 224 S., 24 Euro, ISBN: 978-3-7013-1219-1; „Umfrage über Georg Trakl“, Literatur und Kritik, Heft Nr. 483/484, Otto Müller Verlag, 112 S., 10 Euro)