Salzburger Festspiele: Eröffnungsrede als flammendes Plädoyer für EU
Salzburg (APA) - Christopher Clark, australischer Historiker, Autor und ausgewiesener Experte für die Zeit des Ersten Weltkrieges, kommt in ...
Salzburg (APA) - Christopher Clark, australischer Historiker, Autor und ausgewiesener Experte für die Zeit des Ersten Weltkrieges, kommt in seiner Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele, mit einer klaren Botschaft: Heute, Sonntagmittag, verkündete Clark in der Felsenreitschule: „Die Europäische Union ist ein Projekt, das zu den größten Errungenschaften der Geschichte der Menschheit gehört.“
Clark ist nach Joachim Gauck, Peter von Matt und Jose Antonio Abreu der vierte Eröffnungsredner der Salzburger Festspiele, der nicht mehr - wie davor üblich - von der Landespolitik ausgewählt wurde, sondern von der Festivalleitung selbst. Clark erinnerte am Beginn seiner Rede zum Hundert-Jahre-Jubiläum des Kriegsausbruchs am 28. Juli beziehungsweise am 4. August 1914 an die vielfach betriebene, charmant-verniedlichende Darstellung des ersten großen Krieges und mahnte: „Wir sollten die Schrecken des Krieges und die Wonnen des Friedens niemals, ich meine wirklich niemals vergessen.“ Dazu rief Clark ins Gedächtnis, dass in dieser Auseinandersetzung zehn Millionen junge Männer auf den Schlachtfeldern getötet wurden und insgesamt wahrscheinlich zwischen 15 und 21 Millionen Menschen ihr Leben verloren.
Clark versuchte deutlich zu machen, dass die Welt heute von einer ähnlichen Krise stärker bedroht ist, als noch vor 20 oder 30 Jahren: „Erst langsam ist uns klar geworden, was das Ende der bipolaren Stabilität des Kalten Krieges für die Entwicklung des globalen geopolitischen Systems bedeutet. Wir befinden uns - wie die Zeitgenossen des Jahres 1914 - in einer zunehmend gefährlichen, multipolaren Welt, gekennzeichnet durch regionale Krisen. Es gibt ein Neben- und Gegeneinander eines ermüdenden und vermeintlich im Niedergang begriffenen Weltreichs und einer emporstrebenden Weltmacht, die mit ihrem ungestümen Rütteln am globalen Mächtegefüge für Unruhe sorgt.“ Clark spielte damit explizit nicht auf Russland, sondern auch auf die USA und China an.
In der aktuellen Ukraine-Krise sieht Clark eine vergleichsweise geringe Bedrohung für den Weltfrieden, weil es eine Sicherheitsarchitektur gebe und Strukturen wie die OSZE, die G8 und den Europäischen Rat, die als Schlichtungsinstanzen dienen können. Aber in Asien sei die Lage wesentlich gefährlicher, so der 54-jährige Australier: „Dort sehen wir eine Vielzahl von ungelösten territorialen Streitigkeiten. Verstrickt in diese Streitigkeiten sind auch die Nuklearmächte Russland, China, Nordkorea, Pakistan und Indien. Und es gibt in dieser Region überhaupt keine regionalen oder globalen Mechanismen, die in eventuellen Konflikten effektiv vermitteln könnten“.
Eine Eskalation in dieser Region könnte Kontroversen zwischen den USA und China schlagartig verschärfen. „In elf von fünfzehn Fällen, wo im Laufe der letzten 500 Jahre die bestehenden Machtverhältnisse durch das Emporkommen einer neuen Großmacht infrage gestellt wurden, gab es Krieg. Ob wir heute in der Lage sind, dieser Falle zu entkommen, ist noch nicht klar. Wir sind nicht unbedingt klüger oder weiser als unsere Vorfahren. Aber wir haben, jedenfalls in Europa, bessere Strukturen. Hier hat man aus den Ruinen zweier verheerender Weltkriege eine Wirtschafts- und Friedensordnung hergestellt, die weltweit einmalig ist. Es ist nicht nur, dass durch die EU ein Krieg zwischen den Staaten Europas unvorstellbar geworden ist, sondern dass dieses transnationale Gebäude für die ganze Welt ein Modell bietet für die friedliche Schlichtung von Interessenskonflikten.“
„Die EU hat innerhalb Europas eine schlechte Presse. Sie und ihre Werte werden auch innerhalb der Union von populistischen Bewegungen infrage gestellt, die immer einfach Lösungen suchen. Aber wer die EU wie ich von außerhalb betrachtet, sieht in ihr einen Akt transnationalen politischen Willens, der zu den größten Errungenschaften der Geschichte der Menschheit gehört“, sagte der Festspielredner aus Australien und forderte ein ernsthaftes Nachdenken über die Mahnungen der Katastrophe von 1914.