Angebliche US-Beweise für russische Attacken, mehr als 1000 Tote
Die USA erheben in der Ukraine-Krise Anschuldigungen gegen Russland. In dem Konflikt starben seit April mehr als 1100 Menschen, berichtet das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte. Ein unbehinderter Zugang zur Absturzstelle von Flug MH17 ist weiterhin nicht möglich. In der Region toben Kämpfe.
Donezk – Die US-Regierung hat am Sonntag angebliche Beweise dafür vorgelegt, dass russische Soldaten über die Grenze hinweg ukrainische Streitkräfte beschossen haben. Das Büro des Nationalen Geheimdienstdirektors veröffentlichte Satellitenaufnahmen, die zwischen dem 21. und 26. Juli entstanden seien.
Den US-Angaben zufolge belegen die Fotos auch, dass prorussische Separatisten in der Ostukraine von Russland gelieferte schwere Artillerie gegen ukrainische Soldaten eingesetzt haben.
Die Aufnahmen zeigen demnach unter anderem Abschussspuren an einer Raketenstellung auf russischer Seite, die auf ukrainische Einheiten in der Ostukraine gerichtet sind. Weiträumige Einschläge nahe dieser Einheiten deuteten auf den Einsatz von Mehrfach-Raketenwerfern hin, heißt es weiter.
Erneut Zivilisten bei Gefechten getötet
Bei schweren Gefechten in der Ostukraine sind erneut mehrere Zivilisten ums Leben gekommen. Mindestens fünf Männer seien beim Artilleriebeschuss von Luhansk (Lugansk) getötet worden, teilte die Verwaltung der Großstadt am Montag mit. Nahe dem geschlossenen internationalen Flughafen in Luhansk attackierten demnach prorussische Separatisten Regierungseinheiten mit Grad-Raketenwerfern.
Im benachbarten Donezk starben den Behörden zufolge mindestens drei Zivilisten bei Kämpfen zwischen der Armee und Aufständischen.
Mehr als 1100 Tote seit April
Seit Mitte April sind im Zuge der Ukraine-Krise mindestens 1129 Menschen getötet worden. Das geht aus einem am Montag in Genf veröffentlichten Bericht des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte (UNHCHR) hervor. Außerdem gibt es nach UN-Angaben mehr als 3.400 Verletzte. Die Bevölkerung der Ostukraine leide unter einer Schreckensherrschaft prorussischer Separatisten, hieß es in dem Bericht weiter.
Um ihre Macht zu sichern, würden die bewaffneten Gruppen Menschen entführen, einsperren, foltern und exekutieren. Die straff organisierten und militärisch stark ausgerüsteten Rebellen hätten ihre Aktivitäten gegen die ukrainischen Regierung weiter intensiviert, heißt es in dem Bericht. Auch Regierungstruppen hätten mit verstärkten Angriffen reagiert. Kämpfen in besiedelten Gegenden seien zahlreiche Zivilisten zum Opfer gefallen, Tausende seien geflohen.
„Beide Seiten müssen verhindern, dass noch mehr Zivilisten getötet werden“, forderte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay. Das Vorgehen sowohl der Separatisten, als auch der Armee müsse unter Umständen als Verletzung des humanitären Völkerrechts eingestuft und verfolgt werden. Bei Kämpfen in Donezk und Luhansk hätten beide Seiten schwere Waffen in bewohnten Gegenden eingesetzt, darunter Artillerie, Panzer und Raketen.
Zugang zu MH17-Absturzstelle weiterhin nicht möglich
Unterdessen gibt es weiter Behinderungen beim Zugang zur Absturzstelle der malaysischen Passagiermaschine. Am Montag wollen die Niederlande und Australien erneut versuchen, für internationale Helfer einen Zugang zur Absturzstelle vom Flug MH17 in der Ostukraine zu erreichen. Dazu verhandeln Außenminister Frans Timmermans und seine australische Kollegin Julie Bishop mit der ukrainischen Regierung in Kiew.
Allerdings haben schon am Sonntag neue Kämpfe in der Region verhindert, dass Beobachter an die Stelle gelangen. Ein Abflauen der Gefechte ist nicht zu erwarten, zumal die ukrainische Armee auf dem Vormarsch gegen die prorussischen Separatisten zu sein scheint. Die Idee einer bewaffneten Schutztruppe für Helfer an der Absturzstelle setzt Den Haag vorerst nicht um.
Nach ursprünglichen Vorstellungen des niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte hätten Spezialkräfte der niederländischen Armee und Polizei eingesetzt werden sollen, um Gerichtsmediziner und Ermittler zu schützen. Diese sollen weitere Opfer bergen und die Ursache des Absturzes der Boeing von Malaysia Airlines untersuchen. Beim mutmaßlichen Abschuss der Zivilmaschine waren am 17. Juli 298 Menschen ums Leben gekommen, die meisten von ihnen Niederländer.
Eigentlich hatten die Niederlande und Malaysia unter Vermittlung der OSZE eine Zusage der Separatisten erreicht, dass Ausländer unbewaffnet an der Absturzstelle arbeiten dürfen. Doch dann machten die Kämpfe die Vereinbarungen zunichte.
Ukraine will Gebiet „von Terroristen befreien“
Ukrainische Truppen wollten „das Absturzgebiet der Boeing 777 von Terroristen befreien, um internationalen Experten Sicherheit zu garantieren und die Möglichkeit für ihre Untersuchungen“, sagte ein Sprecher des Sicherheitsrates in Kiew. In den Tagen vorher hatte Präsident Petro Poroschenko eine Waffenruhe im Umkreis von 40 Kilometern um die Unglücksstelle zugesagt.
Die ukrainischen Angriffe wirkten wie eine Großoffensive, um das Separatistengebiet in zwei Hälften zu teilen und die Millionenstadt Donezk einzukreisen. Bei Beschuss auf die Stadt Gorlowka wurden 13 Menschen getötet, wie die Gebietsverwaltung von Donezk mitteilte. In den Städten Debalzewo, Schachtarsk, Tores und Sneschnoje wurde nach verschiedenen Angaben ebenfalls gekämpft. Aus Tores wurden Granateneinschläge gemeldet. „Die Leute suchen Zuflucht in den Kellern“, schrieb der Fotojournalist Pierre Crom auf Twitter. Die ukrainische Armee wie die Separatisten setzten Panzer ein.
Die Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wie auch Experten aus den Niederlanden, Australien und Malaysia brachen eine Fahrt zur Unfallstelle ab und kehrten nach Donezk zurück. Die Außenminister Russlands und der USA, Sergej Lawrow und John Kerry, forderten nach Moskauer Angaben in einem Telefonat eine sofortige Feuerpause im Konfliktgebiet.
Erstes Todesopfer identifiziert
Die bisher geborgenen Toten waren in einer Luftbrücke bis Samstag nach Eindhoven ausgeflogen worden. Immer noch ist unklar, wie viele Tote gefunden worden sind. Ein erstes Opfer, ein Mann aus den Niederlanden, konnte gerichtsmedizinisch identifiziert werden.
Wegen der Ukraine-Krise will die Europäische Union am Dienstag erstmals Wirtschaftssanktionen gegen Russland in Kraft setzen. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy bat die 28 Staats- und Regierungschefs um rasche persönliche Zustimmung zu den neuen Strafmaßnahmen. Das geht nach Angaben von EU-Diplomaten aus einem Brief hervor, den Van Rompuy an die Regierungschefs schickte. Damit soll ein weiterer EU-Sondergipfel vermieden werden. Die EU will Russland mit den Sanktionen zwingen, die Unterstützung für die Aufständischen in der Ostukraine aufzugeben. (dpa)