Teuflisch in Ordnung
Salzburger Festspiele: In Sven-Eric Bechtolfs Neuinszenierung von Mozarts „Don Giovanni“ erlahmt der ewige Wüstling im Laufe der Inszenierung immer mehr.
Von Christoph Lindenbauer (APA)
Salzburg –Es mag gerecht sein oder nicht – das Premierenpublikum des neuen Salzburger „Don Giovanni“ mochte die Neuinszenierung dieser Mozart-Oper nur bedingt. Nicht wenige machten ihrem Unmut sogar mit Buh-Rufen Luft. Die erste Opernproduktion der Salzburger Festspiele 2014 unter der Regie von Sven-Eric Bechtolf ist ordentlich erzähltes Drama, ein durchschlagender oder gar begeisternder Erfolg ist sie nicht.
Bechtolf inszenierte weder modern noch traditionell. Und psychologisch schon gar nicht. Er versuchte, diesen großen Mythos der europäischen Kultur, diesen getriebenen Jäger, Sammler, diesen gehetzten, kalten und gierigen Typ Mann zu zeigen, wie er ist und wie er wirkt. Das hat prickelnde Momente. Viele Details, viele Regieeinfälle stiften Sinn. Auch die Personenregie wirkte plausibel, da wurde wirklich gespielt, da war Bewegung auf der Bühne. Aber ein großer, eindeutiger Bogen, der dreieinhalb Stunden lang spannend geblieben wäre, war nicht zu spüren. Je länger der Abend im Haus für Mozart dauerte, desto mehr erlahmten das Drama und seine Helden, desto leerer wirkten Auf- und Abtritte, desto dürftiger die Strahlkraft der Figuren. Fast wie eine inszenierte Verzweiflungstat erschienen da die Menschen mit ihren schaurig roten Teufelsmasken. Oder auch „Don Giovanni“ selbst, der mit der Fratze des Bösen den Kellner spielt und den Getäuschten und Betrogenen ganz sicher keinen reinen Wein einschenkt.
Für das Bühnenbild von Rolf Glittenberg gilt das Gleiche: handwerklich in Ordnung, begründbar, aber alles andere als inspirierend. Den gesamten Abend schaut man auf das Foyer eines (Stunden-)Hotels. Eine Treppe, eine Zimmerflucht mit Türen. Halbwegs edle Holzverschalung mit belanglosen Lampen. Im zweiten Akt wurde die Bar weggeräumt, dafür schob man Transportgestelle für die Koffer zum Verstecken hin und her. Zeitlich ist dieser „Don Giovanni“ im Großraum „Erster Weltkrieg“ angesiedelt, auch das nicht Fisch nicht Fleisch, ästhetisch blieben Bechtolf und Glittenberg ambivalent. Die Hochzeitskleider, Tagesanzüge, Uniformen und Roben von Marianne Glittenberg passten dazu, auch sie wollte nirgends anecken.
Das Solistenensemble und das Orchester hingegen wurden anständig, wenn auch nicht euphorisch beklatscht. Alle acht Sänger agierten auf hohem Niveau und trugen den Abend. Ildebrando D’Arcangelo in der Titelrolle sang kraftvoll und basslastig. Körperlich und stimmlich beweglich gab er den kultivierten Grobian, aber im zweiten Akt verlor er an Präsenz. Richtig dürftig in Ausdruck und Wirkung dann die Schlüsselszene mit Komtur. Originell hingegen die Idee am Ende: „Don Giovanni“ fährt gar nicht wirklich zum Teufel (er ist ja selbst einer). Er bleibt ewig, rennt weiter wie besessen hinter Frauen her und hinterlässt einen seelischen Trümmerhaufen.
Auch Luca Pisaroni als „Leporello“ ist eine gute Besetzung, sein Spiel hat Humor, seine Stimme ist sauber und klanglich ausgewogen in allen Registern. Satt, kraftvoll und makellos Tomasz Konieczny als „Commendatore“. Andrew Staples gab den „Don Ottavio“ mit klarem, eigenwillig schönem Tenor, und auch Alessio Arduini als „Masetto“ passte homogen ins Ensemble. Die Damen enttäuschten ebenfalls nicht, auch wenn keine herausragend beeindruckende Stimme unter ihnen war. Linneke Ruiten als „Donna Anna“ drehte erst in ihrer Schlussarie richtig auf, Anett Fritsch punktete mit klingender Kraft, Wut und Verzweiflung, aber das darf die „Donna Elvira“ ja auch. Sehr gut in ihre Rolle als „Zerlina“ fand auch die junge Moldawierin Valentina Nafornita, sie setzte Akzente nicht nur mit ihrem klaren, feinen Sopran, sondern zudem mit spielerischer Sinnlichkeit.
Die Wiener Philharmoniker und Dirigent Christoph Eschenbach haben sich gegenüber der schwachen „Così fan tutte“-Vorstellung im Vorjahr gesteigert. Die höher im Graben positionierten Musiker präsentierten einen knackigen, satten, manchmal auch groben Mozartklang, der aber durchaus strahlte, das Bühnengeschehen antrieb, freudvoll und vital wirkte. Leider lief vor allem rhythmisch vieles nicht rund zwischen Bühne und Orchestergraben. Immer wieder stolperte das Tempo, passte der Rhythmus des Textes nicht zum musikalischen Puls. Gott sein Dank spielte sich vieles im Laufe der Premiere ein. Aber unter dem Strich hatte das Premierenpublikum schon Recht: Der neue Salzburger „Don Giovanni“ ist bloß „teuflisch in Ordnung“.