Die Gefahr lauert im Kuhfladen
In Kuhdärmen tummeln sich viele EHEC-Bakterien. Wegen der Ansteckungsgefahr sollten sich Kinder nach dem Streicheln von Wiederkäuern die Hände waschen. Viktoria Weide hatte Glück im Unglück.
Von Theresa Mair
Innsbruck –Fünf Wochen lag die zehnjährige Viktoria Weide aus Innsbruck im Kinderzentrum der Universitätsklinik Innsbruck – zwei davon auf der Kinderintensivstation. Dabei hatte Mitte Juni alles so harmlos mit einem Schulausflug auf den Bauernhof begonnen. Doch wenige Tage danach bekam Viktoria Durchfall, der sich nicht besserte.
Der Nephrologe Siegfried Waldegger und der Gastroenterologe Thomas Müller kümmerten sich von Anfang an mit ihrem Team um das Mädchen. „Das einzige Symptom war ein fieberhafter Durchfall mit sichtbarer Blutbeimengung“, erklärt Waldegger. Doch Viktorias Zustand verschlimmerte sich, die Nierenfunktion ließ nach. Dann die Diagnose: Das Kind leidet am hämolytisch-urämischen-Syndrom, kurz: HUS, ausgelöst durch EHEC-Bakterien.
„Das Tückische an EHEC ist, dass außer fieberhaftem Durchfall anfangs keine Beschwerden auftreten. Erst nach und nach kommt es zu Elektrolytstörungen und Wasseransammlungen im Körper. Es kann kein Urin mehr ausgeschieden werden. Die Nierenfunktion verschlechtert sich“, erklärt Waldegger. Viktoria musste sofort an die Dialyse.
Drei Wochen lang übernahm eine externe Maschine die Aufgaben, die ihre Nieren nicht mehr erfüllen konnten: Giftstoffe aus dem Blut zu filtern. Ansonsten bleiben den Ärzten die Hände gebunden. Sie können nichts tun, um die Erholung der Nierenfunktion voranzutreiben.
Jedes Jahr werden in Innsbruck etwa fünf Kinder betreut, die durch den EHEC-Keim erkrankt sind. „Es ist eine seltene, aber sehr gefährliche Erkrankung, die vor allem Kleinkinder trifft. Viktoria ist eigentlich schon ein bisschen alt dafür“, erklärt der Nieren-Experte. Sein Anliegen ist es, bei Eltern das Bewusstsein für die Gefahr zu schärfen.
Die Medizinische Universität Innsbruck ist unter Federführung des Mikrobiologen Reinhard Würzner Europas Zentrum in der HUS-Forschung. Auch bei dem aufsehenerregenden EHEC-Ausbruch 2011 in Deutschland – mehr als 3000 Erwachsene erkrankten an einer untypischen Form des Bakteriums – war sie an der Aufklärung der Ursachen beteiligt. Damals war EHEC über verunreinigte Bockshornklee-Samen übertragen worden. Der Großteil der Kinder steckt sich allerdings auf Bauernhöfen und in Streichelzoos an, erklärt Alejandra Rosales, die eine gemeinsame Studie mit der Uni Freiburg geleitet hat.
Der Grund: EHEC-Bakterien kommen in großen Mengen im Darm von Wiederkäuern, v.a. Rindern, vor. „Da Kleinkinder eine besondere Darmstruktur aufweisen, an der die Bakterien gut anhaften und das blutvergiftende Shiga-Toxin bilden können, besteht für sie ein besonderes Erkrankungsgsrisiko“, so Waldegger. Eltern sollten darauf achten, dass sich Kinder nach dem Streicheln von Tieren nicht die Finger in den Mund stecken und ihnen die Hände waschen. Zudem sei es wichtig, Kindern nur gekochte oder pasteurisierte Milch zu trinken zu geben. Auch beim Genuss von Feldfrüchten, die zuvor mit Kuhmist gedüngt wurden oder beim Spielen auf einer Weide bestünde ein Risiko.
Die Bäuerin auf dem Hof, den Viktoria besuchte, hatte den Schülern verboten, die Kühe zu streicheln oder frisch gemolkene Milch zu trinken, wie Alexandra Weide, Viktorias Mutter, bestätigt. Dennoch muss die Zehnjährige mit Mist in Berührung gekommen sein.
„Schätzungsweise erkrankt eines von tausend Kindern, die mit EHEC in Kontakt gekommen sind, an HUS. Bestimmte genetische Voraussetzungen spielen vermutlich eine Rolle für die Anfälligkeit. Es ist ein Rätsel ob Bauernkinder besonders abgehärtet sind. Denn sie erkranken eher seltener“, sind sich Waldegger und Rosales einig.
Dem Gastroenterologen Müller zufolge müsse ein normaler Durchfall nach zwei bis drei Tagen nachlassen. „Niemals darf bei Durchfall ohne spezifische Diagnose ein Antibiotikum eingesetzt werden. Wenn sich Blut im Stuhl befindet, muss man sofort zu einem Arzt gehen.“
Viktorias Nieren funktionieren inzwischen wieder zu dreißig Prozent. Um sie nicht zu überfordern, muss die Schülerin auf kalium- und phosphatreiche Nahrungsmittel wie Bananen und rotes Fleisch in nächster Zeit verzichten. Längerfristig muss sie mit Bluthochdruck rechnen.
Während sich das Mädchen nun erst mal auf Ferien in Südfrankreich freut, ist erneut ein Kind mit schwer verlaufendem HUS eingeliefert worden. Der Dreijährige hat sich vermutlich in einem Streichelzoo infiziert.