Bühne

Die hässliche Fratze des Krieges

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Mehr Anti-Operetten-Seeligkeit geht nicht: Georg Schmiedleitner nimmt Karl Kraus beim Wort und inszeniert „Die letzten Tage der Menschheit“ bei den Salzburger Festspielen als Weg in die selbstgezimmerte Katastrophe.

Von Joachim Leitner

Salzburg –Mit einem „Heiliger Helmut Qualtinger schau oba“ wurde man nach beinahe zweieinhalb Stunden in die Pause entlassen. Wobei die Beschwörung des genialen Karl-Kraus-Interpreten, der „Die letzten Tage der Menschheit“ zu einer maßstabsetzenden One-Man-Show machte, nicht von der Bühne, sondern aus dem Publikum kam. Und wohl wenig wohlwollend gemeint war. Wirklichen Anlass für so viel (künstliche) Empörung gab es zu diesem Zeitpunkt nicht: Georg Schmiedleitners Inszenierung des – als unaufführbar geltenden – Monolithen unter den Antikriegsstücken war das, was man gemeinhin als solide und stimmig bezeichnet. Einigen wunderbar anschaulichen Einfällen, der Auftritt der Salzburger Postkapelle zum Beispiel, deren in ohrenbetäubender Dissonanz mündendes Umtata die mahnenden Worte des kriegskritischen Nörglers (wunderbar verbissen: Dietmar König) übertönt, steht viel szenisches Tasten, vages Umreißen und mitunter fragwürdiges Verdichten gegenüber.

Wahrlich kein Wunder, wenn man sich vor Augen führt, dass jeder Versuch, sich dem Kraus’schen Textgewitter inszenatorisch anzunähern, es wie auch immer auf einen endgültigen Punkt zu bringen, von vornherein scheitern muss. „Die Aufführung des Dramas, dessen Umfang nach irdischem Zeitmaß etwa zehn Abende umfassen würde, ist einem Marstheater zugedacht. Theatergänger dieser Welt vermöchten ihm nicht standzuhalten“, notierte Kraus selbst über „Die letzten Tage“.

Schmiedleitner, der das Prestige-Projekt erst vor wenigen Monaten vom geschassten Burg-Chef Matthias Hartmann geerbt hat, nimmt diese Vorgabe ernst. Er macht gar keine Anstalten, den Versuchs­charakter seiner Inszenierung zu verschleiern. Im Gegenteil: Auf weitgehend leerer Bühne (Ausstattung: Volker Hintermeier) lässt er weitgehend farblos gehaltene Figuren, allesamt mehr Karikatur als Charakter (Kostüme: Tina Kloempken), ein Endspiel von nachgerade beckett’scher Kargheit proben. Auf alle zusätzlichen Informationen wie Ortsangaben wird konsequent verzichtet.

Und noch ein Kraus’sches Diktum nimmt Georg Schmiedleitner ernst: Der, der die Schmach des Weltkrieges der Nachwelt preisgibt, habe kein Recht auf Humor, schickt Kraus seinem Stück voraus. Und dementsprechend ernst ist Schmiedleitners Umgang mit dem Stoff, den er selbst mit Dramaturg Florian Hirsch für die Bühne komprimiert hat. Kurz: Gelacht wird wenig in dieser bitterbösen Abrechnung mit Phrasendrescherei und Hurrapatriotismus.

Während der Großteil des 13-köpfigen Ensembles (herausragend Christoph Krutzler u. a. als Viktualienhändler Chramosta) gleich mehrere der zahllosen Rollen spielt, führen der bereits erwähnte Nörgler, sein verbaler Widersacher, der Optimist (Gregor Bloéb) und die als schlagzeilengeiler „embedded journalist“ zu Recht vom Publikum frenetisch beklatschte Schalek (Dörte Lyssewski) als roter Faden durch einen abgründigen Reigen penibel protokollierten Irrsinns. Dass diese Revue zugespitzter Kriegstreiberei gerade in der ersten Hälfte mitunter etwas langatmig und – elektronischer Verstärkung sei Dank – stellenweise zu laut geraten ist, soll nicht verschwiegen werden. Hier mögen auch die Gründe für die aufkommende Qualtinger-Sehnsucht des Einzelnen zu suchen sein.

Im zweiten Teil der nicht gerade mitreißenden, aber – wie gesagt – grundsoliden, klugen und wichtigen Annäherung an das Unerreichbare bricht die Inszenierung sprichwörtlich auf. Optisch durch die Zerstückelung der bis dahin dominierenden Wand im Hintergrund. Und inhaltlich, weil „Die letzten Tage“ letztlich doch ins Groteske kippen dürfen. Wobei man auf gefiederte Todesboten und Bob Dylans „Master of War“ durchaus hätte verzichten können. Das dummdreiste „Mir-bleibt-doch-nichts-erspart“-Couplet des dahinsiechenden Kaisers (Peter Matic in einer seiner insgesamt neun Rollen) aber stimmt versöhnlich: Mehr Anti-Operetten-Seligkeit geht nicht.

Und als der inzwischen mit dem Eisernen Kreuz geschmückte Optimist zum Schlusswort anhebt, bleibt einem tatsächlich die Spucke weg: Eine Schilderung der übelsten Scheußlichkeiten. Vorgetragen von Gregor Bloéb mit breitestem Skilehrer-Grinsen. Plötzlich ist sie da, die hässliche Fratze des Krieges. Nicht als über die Menschheit hereingebrochener Schicksalsschlag oder vielzitierte „Urkatastrophe“, sondern als von allzu weltlichen Kräften orchestrierte Aktion des absichtsvollen Wahns.