Was Rakete 03181 über den Ukraine-Konflikt verrät
Donezk/Kiew/Moskau (APA/Reuters) - Am letzten Tag im Mai verließ die Boden-Luft-Rakete 03181 die Militärbasis nahe Moskau. Dort hatte sie me...
Donezk/Kiew/Moskau (APA/Reuters) - Am letzten Tag im Mai verließ die Boden-Luft-Rakete 03181 die Militärbasis nahe Moskau. Dort hatte sie mehr als 20 Jahre gelagert. Laut dem in kyrillischer Schrift verfassten Logbuch des russischen Verteidigungsministeriums, das Reuters einsehen konnte, war die tragbare Rakete für eine Basis in der russischen Stadt Rostow bestimmt - 50 Kilometer östlich der ukrainisch-russischen Grenze.
In diesem Gebiet, so sagen US-Vertreter, befindet sich ein Lager, in dem prorussische Separatisten aus dem Nachbarland für den Einsatz in der umkämpften Ostukraine trainiert werden. Drei Wochen später tauchen Rakete 03181 und das Logbuch dann in der Ostukraine auf, wo Regierungstruppen sie bei Separatisten erbeutet haben. Und das mehr als 20 Seiten dicke Heft listet minutiös auf, welchen Weg die Rakete genommen hat, die am 21. Mai 1993 erstmals ausgeliefert und seither regelmäßig auf ihre Funktionsfähigkeit getestet worden ist. Der Stempel des russischen Verteidigungsministeriums prangt auf den Unterschriften in dem Logbuch.
Die Geschichte der Rakete ist nur ein Teilchen im großen Puzzle des Ukraine-Konflikts - und eines, das wie immer schwer verifizierbar ist. Westliche Diplomaten in der ukrainischen Hauptstadt Kiew erhielten eine Kopie des Logbuchs von ukrainischer Seite. Reuters konnte dessen Echtheit nicht mit dem russischen Militär abgleichen. Die Regierung in Moskau betont immer wieder, dass sie die Separatisten in der Ostukraine nicht mit Waffen ausstatte. Die Kämpfer erklären, sie hätten das Material aus Beständen der ukrainischen Armee erbeutet. Die Frage, ob Russland die Separatisten unterstützt, bildet auch den Kern der Diskussion über die Sanktionen gegen das Land.
Für US-Experten steht fest: Die Rakete und das Logbuch seien ein Hinweis darauf, dass Waffen aus Russland in die Ukraine gebracht würden. Auch Interviews mit Diplomaten in Kiew und russischen Militäranalysten ergeben das Bild eines ständigen Schmuggels von Waffen. Seit Mai, so die übereinstimmenden Berichte, würden immer wieder Kleinfeuerwaffen, Panzer und hochentwickelte Raketensysteme in Richtung Westen gebracht.
Vergangene Woche gab ein Separatisten-Führer in einem Reuters-Interview erstmals zu, dass die Kämpfer auch über sogenannte BUK-Raketen verfügt hätten. Diese wurden beim mutmaßlichen Abschuss der Passagiermaschine der Malaysia Airlines über der Ostukraine benutzt, bei der 298 Menschen ums Leben gekommen sind.
In den vergangenen Wochen habe der Waffenschmuggel aus Russland dramatisch zugenommen, sagen drei US-Vertreter. „Der Anstieg der Lieferungen hängt klar mit den Erfolgen der ukrainischen Streitkräfte zusammen“, sagt ein hochrangiger US-Offizieller, der anonym bleiben will. Und die neuen Lieferungen enthielten Flugabwehrsysteme, um die ukrainische Luftwaffe bekämpfen zu können. Erstmals sollen auch moderne Raketen des Typs Tornado geliefert worden sein. Auch nach dem Abschuss des Verkehrsflugzeugs hat sich daran nach Aussage des ukrainischen Botschafters in Washington nichts geändert.
So umstritten wie die Frage des Waffenschmuggels bleibt die Frage, wer das Passagierflugzeug abgeschossen hat. Russlands Präsident Wladimir Putin hat vehement zurückgewiesen, dass sein Land involviert gewesen sei. Stattdessen beschuldigen er und die Separatisten die Ukraine. Deren Streitkräfte weisen die Vorwürfe ebenfalls zurück. „Die ukrainische Armee hat zwar tragbare Raketensysteme des Typs Igla, Osa und auch BUK. Aber sie wurden in den Kämpfen nicht eingesetzt, weil es für sie keine Verwendung gab“, sagt ein Sprecher der Armee in der Ostukraine. Die Rebellen hätten gar keine Flugzeuge, deshalb brauche man keine Boden-Luft-Raketen. Trifft dies zu, dürfte die von den ukrainischen Soldaten erbeutete Rakete 03181 eines Tages wohl wieder im Waffenlager landen.