Leitl zu Russland-Sanktionen: „Wirtschaft nicht missbrauchen“
Die EU und die USA verstärken in der Ukraine-Krise mit Wirtschaftssanktionen den Druck auf Russland. Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl hat sich erneut gegen die Sanktionen ausgesprochen. Der deutsche Wirtschaftsminister hingegen erwartet sich eine rasche Wirkung.
Kiew/Moskau/Brüssel - Die EU-Wirtschaftssanktionen gegen Russland werden im Detail am morgigen Donnerstag veröffentlicht. Die 28 Staats- und Regierungschefs hatten sich Dienstag abend auf die Stufe drei der Strafmaßnahmen gegen Moskau wegen des Verhaltens von Russlands Staatschef Wladimir Putin in der Ukraine-Krise geeinigt. Die Kundmachung der betroffenen russischen Wirtschaftszweige erfolgt im Amtsblatt der EU.
Am Mittwoch läuft formal das schriftliche Verfahren. Konkret heißt dies, dass die ausgearbeiteten Rechtstexte an die einzelnen Staats- und Regierungschefs geschickt werden.
EU-Ratspräsident Hermann Van Rompuy hatte erklärt, dass die Sanktionen den Zugang russischer staatseigener Finanzinstitutionen zum europäischen Kapitalmarkt begrenzen, ein Waffenembargo verhängt wird sowie ein Ausfuhrverbot für „dual use goods“ (Verwendung ziviler und militärischer Güter) erlassen wird. Außerdem werde der Zugang Russlands zu hochsensitiven Technologien im Erdölbereich gedrosselt.
Insgesamt exportierte die EU im letzten Jahr Waren im Wert von 120 Milliarden Euro nach Russland. Der Löwenanteil davon entfiel mit rund 36 Milliarden Euro an Deutschland. Österreich kam auf Ausfuhren von 3,5 Milliarden Euro nach Moskau.
WK-Präsident Leitl erneut gegen Sanktionen
Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl hat sich erneut gegen die Wirtschaftssanktionen ausgesprochen, die von EU und USA gegen Russland verhängt werden. „Wirtschaft soll nicht als Instrument der Politik missbraucht werden“, sagte Leitl am Mittwoch im ORF-“Mittagsjournal“. Österreichs Exporte nach Russland würden heuer voraussichtlich um ein Fünftel einbrechen, warnte Leitl.
Der Wirtschaftskammer-Präsident zeigte zwar Verständnis für die Haltung der europäischen Länder. „Niemand billigt das Vorgehen von Putin, weil das nationalistische Säbelgerassel ins 19. Jahrhundert passt, aber nichts ins 21. Jahrhundert“, so Leitl. Man müsse dennoch kühlen Kopf bewahren. Das einzig Zielführende sei der Dialog, und den dürfe man nicht aufgeben.
Österreichs Außenhandel mit Russland ist bereits rückläufig. Hatte es im April 2013 noch Einfuhren von 279,4 Mio. Euro und Ausfuhren von fast 335 Mio. Euro gegeben, sackten die Importe im Vergleichsmonat 2014 auf 180,3 Mio. Euro und die Exporte auf 237 Mio. Euro ab.
Sanktionen für Steinmeier allein noch keine Politik
Russland verbietet seinerseits weitgehend den Import von Obst und Gemüse aus Polen. Betroffen seien ab Freitag „fast alle“ Einfuhren dieser Art, teilte die Lebensmittelaufsicht Rosselkhoznadzor (Rosselchosnadsor) am Mittwoch mit. Zur Begründung hieß es, Polen habe „wiederholt“ gegen Regelungen zur Nahrungsmittelsicherheit verstoßen.
Am Montag hatte Russland bereits gedroht, nach der Entdeckung schädlicher Insekten in Einfuhren bestimmte Importe aus Ländern der Europäischen Union zu verbieten. Russland verhängt häufig Importstopps und führt dafür Gesundheitsbedenken an. Handelspartner sehen hinter solchen Schritten aber oftmals politische Motive. In den vergangenen zwei Monaten untersagte Russland bereits diverse Einfuhren aus der Ukraine und aus Moldau.
Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier dringt indes darauf, den Gesprächsfaden im Ukraine-Konflikt trotz der nun verhängten EU-Wirtschaftssanktionen gegen Russland nicht abreißen zu lassen. „Sanktionen alleine sind noch keine Politik“, erklärte er am Mittwoch in Berlin. „Deshalb muss weiterhin nach Möglichkeiten zur politischen Entschärfung des Konflikts gesucht werden.“
Ein für diese Woche geplantes Treffen zwischen der internationalen Kontaktgruppe und Vertretern der Ostukraine in Minsk müsse Schritte auf dem Weg zu einer Waffenruhe vereinbaren. „Ein Waffenstillstand und ein glaubwürdiger Stopp von Waffenlieferungen an die Separatisten eröffnet die Rückkehr in politische Gespräche zur Lösung des Konflikts.“
Für Moskau kein Beitrag zur Deeskalation
Die Sanktionen gegen Russland werden nach Ansicht des deutschen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel sehr schnell Wirkung zeigen. „Die russische Ökonomie ist in keiner guten Verfassung“, sagte der SPD-Minister am Mittwoch in Berlin.
Er setze auch auf den Einfluss der Wirtschaftsführer in Russland. Denn es sei nicht im Interesse der russischen Oligarchen, dass ihre Möglichkeiten eingeschränkt würden, freizügig in Europa unterwegs zu sein und ihr Geld zu investieren.
Gabriel wandte sich entschieden dagegen, in der Ukraine-Debatte wirtschaftliche Überlegungen über politische zu stellen. „Wir dürfen nicht aus Angst vor wirtschaftlichen Folgen zulassen, dass auf diesem Kontinent Krieg und Bürgerkrieg immer größer werden“, sagte der deutsche Vize-Kanzler mit Blick auf die Lage in der Ostukraine. „Wo es um Krieg und Frieden geht, kann es nicht um Wirtschaftspolitik gehen.“ Bevor die von der EU beschlossenen Wirtschaftssanktionen wieder aufgehoben werden könnten, müsse Russland einen Beitrag zum Waffenstillstand und der Entwaffnung der Separatisten in der Ostukraine leisten.
Die Sanktionen seien kein Beitrag zur Deeskalation, kritisierte der Botschafter Russlands bei der Europäischen Union, Wladimir Tschischow (Chizhov), am Mittwoch in Moskau. Laut der russischen Agentur Interfax sagte Tschischow, die Strafmaßnahmen würden nirgendwohin führen und auch nicht helfen, die Ukraine-Krise zu lösen.
„Unglücklicherweise bestätigt die Entscheidung der EU unsere Ansicht, dass die Europäische Union vom Weg der Sanktionen und des andauernden Drucks nicht ablassen will oder kann, der für sich nirgendwohin führt und keinesfalls zur Deeskalation in der Ukraine beiträgt“, sagte Tschischow.
Russische Zentralbank sagt Banken Rückendeckung zu
Die russische Zentralbank hat auf die Sanktionen gegen Russland reagiert und den betroffenen Banken des Landes Unterstützung zugesichert. „Sollte es notwendig sein, werden geeignete Maßnahmen ergriffen, um die Interessen der Bankkunden, der Sparer und der Kreditgeber zu schützen“, zitierten die Nachrichtenagentur Dow Jones und das Wall Street Journal die Moskauer Zentralbank.
Vom Umfang der westlichen Sanktionen gegen Russland wird abhängen, ob sich das Wachstum des Bruttoinlandprodukts (BIP) des Landes im Jahr 2015 verlangsamt oder sogar in den Minus-Bereich abrutscht, heißt es in einer von der russischen Agentur RIA-Nowosti veröffentlichten Prognose des russischen Wirtschaftsministeriums.
„Selbstverständlich beeinflusst das das BIP-Wachstum stark negativ, und zwar nicht nur in diesem Jahr“, sagte Andrej Klepatsch, Vizechef der russischen Staatsbank VEB und früherer Vizewirtschaftsminister, im TV-Sender Rossija 24. Im laufenden Jahr werde der Negativeffekt recht eingeschränkt sein. Insbesondere treffe das aber auf das Jahr 2015 zu. Für 2014 sagt das Wirtschaftsministerium ein Wachstum von 0,5 Prozent voraus. (APA/dpa/AFP)