Berührendes Theaterkino
Giftgas und Depressionen: Katie Mitchell inszeniert Duncan Macmillans „The Forbidden Zone“ auf der Perner Insel in Hallein.
Von Jörn Florian Fuchs
Hallein –Nur 70 Minuten dauert das Ganze, doch am Ende ist man fix und fertig wie nach einem Theatermarathon. Die britische Regisseurin Katie Mitchell gräbt sich in „The Forbidden Zone“, einem neuen Stück von Duncan Macmillan, tief in historische, persönliche und wissenschaftliche Welten ein. Dreh- und Angelpunkt der multiperspektivischen Erzählung ist die Leidensgeschichte der 21 Jahre alten Claire Haber (Jenny König), deren Großvater Fritz Haber (Felix Römer) wesentlich zur Entwicklung von Giftgas beigetragen hat. Der Jude Haber hatte zudem das von den Nationalsozialisten verwendete Zyklon B mit erfunden, das in den Konzentrationslagern zum Einsatz kam. Seine Enkelin Claire konnte mit dieser Familienschuld offenbar nicht leben und tötete sich selbst.
Macmillan und Mitchell kreieren ein ausuferndes Panoptikum, in dem außerdem Fritz Habers Frau Clara Immerwahr und die Krankenschwester Mary Bowden eine wichtige Rolle spielen. Bowden pflegte im Ersten Weltkrieg verwundete Soldaten. Die Figuren werden ständig hinterfragt und hinterfragen sich, oft laufen mehrere Handlungsstränge parallel, überlappen sich, ver- und entwirren sich. Möglich wird dies durch Mitchells einschlägige Theatermittel, dem Einsatz von aufwändigen Live-Videos.
Auf der Bühne der Perner Insel sieht man diverse Spielräume, ein Büro, Toiletten, Gänge, Wohnzimmer. Mehrfach bewegt sich ein großer Zugwaggon hin und her. Die Akteure werden nun in und außerhalb dieser Räume gefilmt und auf eine Leinwand projiziert – grobkörnig und sepiafarben. Die eilig herum huschenden, schwarz gekleideten Kameraleute vergisst man bald, sie treten buchstäblich in den Hintergrund, wie etwa Puppenspieler im japanischen Bunraku. Durch die überaus komplexe Videotechnik ergibt sich eine völlig neue Form von Theater. Feinste Details werden sichtbar, Szenenwechsel und Übergänge zwischen den Figuren gelingen rasch und fließend. Faszinierend ist das anzuschauen, freilich auch ein wenig ermüdend.
Mitchell ist gleichsam die helle Kehrseite von Frank Castorfs Berliner Filmzirkus (sowie seiner unzähligen Imitatoren). Wo Castorf bewusst unprofessionell die gerade nicht auf der Bühne anwesenden Akteure improvisierend sichtbar macht, stimmt bei Mitchell jedes Detail. Was bei Castorf oft wie ein ironisches Making-of wirkt, gerät bei Mitchell zu völlig ernst gemeintem Hypertechniktheater. Schon ein winziger Fehler würde hier das gesamte Konstrukt zerstören. Natürlich durchschaut man als Zuschauer rasch die Machart und erfreut sich unweigerlich an der Präzision des Abends, was dann doch ein wenig zu Lasten der erzählten Geschichte(n) geht. Dennoch berührt einen nicht nur Claires Schicksal. Das liegt auch an der überaus subtil geformten Klangkulisse (Gareth Fry, Melanie Wilson), die minimalistische Streichertöne mit realistischen Sounds der jeweiligen Handlungsorte kombiniert.
Mit „The Forbidden Zone“ haben die Salzburger Festspiele ein Stück auf der Höhe der Zeit im Angebot, intelligentes, brillant gemachtes Theater. Was will man mehr? Das Publikum feierte die Uraufführung stürmisch. In der kommenden Saison übersiedelt die Produktion an die Berliner Schaubühne, weitere Gastspiele sicher nicht ausgeschlossen.