Salzburger Festspiele - „The Forbidden Zone“: Close-up des Schreckens

Salzburg/Hallein (APA) - Auf der Halleiner Perner-Insel fährt neuerdings die U-Bahn. Verantwortlich dafür ist Katie Mitchell, die ihr aufwen...

Salzburg/Hallein (APA) - Auf der Halleiner Perner-Insel fährt neuerdings die U-Bahn. Verantwortlich dafür ist Katie Mitchell, die ihr aufwendiges Theater-Konzept des Live-Filmdrehs an parallel aufgebauten Schauplätzen für das Auftragswerk „The Forbidden Zone“ weiterentwickelt hat. Man sieht in eine Villa samt Innenhof, ein Chemielabor, ein öffentliches WC und auch in einen dreigeteilten, beweglichen alten U-Bahn-Zug.

Die 49-jährige englische Regisseurin, die im Februar im Burgtheater-Kasino auf die gleiche Weise Peter Handkes Erzählung „Wunschloses Unglück“ in Szene gesetzt hat und 2015 bei den Wiener Festwochen „Trauernacht“, einen Abend mit Bach-Kantaten, zeigen wird, nannte „The Forbidden Zone“ „aus technischer Sicht unsere bisher komplexeste und anspruchsvollste Aufführung“. Das darf auch für die inhaltliche Struktur gelten. Diese war bei der gestrigen 70-minütigen Premiere, die in langen, anerkennenden Beifall mündete, nicht gerade einfach zu entschlüsseln.

Die Produktion ist ein zentraler Teil des Salzburger Festspiel-Schwerpunktes im Gedenken an den Ersten Weltkrieg. Sie stellt das Leid der Frauen und die Verantwortung der Wissenschaft in den Mittelpunkt. Sie verwebt echte Schicksale mit erfundenen, springt zwischen Deutsch und Englisch, zwischen 1915 und 1949, zwischen Ypern, Berlin und Chicago hin und her. Zu hören sind Zitate von Virginia Woolf, Simone de Beauvoir, Hannah Arendt und der Autobiografie der aus einer reichen Chicagoer Familie stammenden Mary Borden, die in Frankreich ein Feldlazarett finanzierte, in dem sie selbst arbeitete. Dazu gibt es verbindende Texte des mit Mitchell arbeitenden Autors Duncan Macmillan. Der Zuschauer bekommt nicht nur viel zu sehen, sondern auch viel zu denken.

Wer jüngst den von Harald Sicheritz über Clara Immerwahr gedrehten Fernsehfilm gesehen hat, ist im Vorteil: Er hat dort den tiefen Konflikt der jungen Chemikerin, die nach der Heirat mit dem ehrgeizigen (und später mit dem Nobelpreis geehrten) Kollegen Fritz Haber zunächst aus dem Labor in den ehelichen Haushalt verbannt wird und entsetzt feststellen muss, dass ihr Gatte an der Entwicklung von Giftgas arbeitet, sehr viel schlüssiger erzählt bekommen. Er kann ihre Lebensgeschichte und ihren Selbstmord 1915, mitten in den Feiern des ersten, unter Habers persönlicher Leitung vorgenommenen „erfolgreichen“ Gasangriffs, besser zum zweiten, parallel geführten Schicksal in Bezug setzen.

Claras nach ihr benannte Enkelin, die sich als US-Staatsbürgerin Claire nennt, forscht im Chicago des Jahres 1949 an Gegenmitteln gegen die von ihrem Großvater mitentwickelten Giftgase, unter denen sich auch das in den Gaskammern der Nazis eingesetzte Zyklon-B befindet. Sie versteht, so legt es Mitchells Inszenierung nahe, ihre Arbeit als Abtragung einer Familienschuld und nimmt sich, als die militärischen Forschungsmittel zugunsten des Atomwaffenprogramms umgeschichtet werden, mit Gift das Leben. Schon bald ist klar, dass der Abend auf einen Doppel-Selbstmord mit 34 Jahren Zeitunterschied hinausläuft.

Aber da gibt es auch noch Kate, eine erfundene Figur, Claires Vorgesetzte im US-Labor, die sich immer wieder in Flashbacks an ihre eigenen Erfahrungen als Krankenschwester im Ersten Weltkrieg erinnert, inklusive zarter, aber brutal durch die Grauen des Krieges beendeter Liebesgeschichte. Nicht nur die nachdenklichen, ostentativ verinnerlichten Gesichter der Protagonisten (Jenny König als zarte, großäugige Claire, Ruth Marie Kröger als herbe Clara, Kate Duchene als gouvernantenhafte Kate, Felix Römer mehr der Vaterlandsliebe als dem Wissenschafts-Ethos verpflichteter Haber, Giorgio Spiegelfeld als archetypischer Soldat), auch ihr Sterben zeigt Mitchell in extremer Großaufnahme: Das Leiden der grässlich zugerichteten Giftgasopfer wiederholt sich im Opfertod Claires, die ihren zuckenden Todeskampf auf dem Boden einer öffentlichen Bedürfnisanstalt austrägt.

Suggestive Musikuntermalung hätte es für die intensive Wirkung dieses Abends nicht gebraucht und kehrt sich in ihrer Melodramatik eher ins Gegenteil. Auch, dass die lange, hoch virtuos dargestellte U-Bahn-Fahrt Claires auf eine Fast-Vergewaltigung durch einen heimgekehrten US-Soldaten hinausläuft, der in ihr eine Feindin sieht, an der er sich gerne rächen würde, vergröbert die Botschaft unnötig. Denn die ist ohnedies deutlich genug: Krieg ist bestialisch. Der männliche Teil der Menschheit hatte bisher mehr Möglichkeiten, sich dabei als Bestie zu beweisen. Und er hat sie ausgiebig genutzt.

(S E R V I C E - „The Forbidden Zone“ von Duncan Macmillan, Regie: Katie Mitchell, Bildregie: Leo Warner, Bühnenbild: Lizzie Clachan, Kostüme: Sussie Juhlin-Wallen, Video: Finn Ross, Mit u.a.: Kate Duchene - Wissenschaftlerin, Ruth Marie Kröger - Clara Haber, Jenny König - Claire Haber, Felix Römer, Fritz Haber - Giorgio Spiegelfeld, Andreas Schröders - Wissenschaftler; Salzburger Festspiele, Koproduktion mit der Schaubühne am Lehniner Platz in Zusammenarbeit mit Prospero, Uraufführung auf der Perner-Insel Hallein, Weitere Aufführungen: 31. Juli, 2., 3., 5., 7., 9., 10. August, Karten: 0662 / 8045-500, www.salzburgerfestspiele.at)