Russlandexperte: Härtere Sanktionen hätten folgenschwere Auswirkungen
Kiew/Moskau/Donezk (APA) - Noch härtere Sanktionen gegen Russland im Ukraine-Konflikt, vor allem im Finanzbereich, hätten „folgenschwere Aus...
Kiew/Moskau/Donezk (APA) - Noch härtere Sanktionen gegen Russland im Ukraine-Konflikt, vor allem im Finanzbereich, hätten „folgenschwere Auswirkungen“ für Russland, sagte der deutsche Ex-Botschafter in Moskau, Ernst-Jörg von Studnitz, im APA-Interview. Der russische Ex-Premier Michail Kassjanow habe sogar von einem möglichen Kollaps der russischen Wirtschaft gesprochen, so von Studnitz.
Dies sei durch die Verflechtung des russischen Finanzwesens mit den globalen Märkten bedingt. In den Bereichen der Energie- und Finanzwirtschaft sei man sehr stark vom Westen abhängig. Deshalb sei der russische Präsident Wladimir Putin auf der „Suche nach einem Ausweg“, was derzeit allerdings „sehr schwierig“ sei, so der Ex-Diplomat. Eine Neuorientierung in Richtung BRICS-Staaten (BRICS: Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) komme wegen der engen Verflechtung mit dem Westen „derzeit nicht infrage“, erklärte Ehrenvorsitzende des Deutsch-Russischen Forums.
Von Studnitz hält fest, dass „mehr als 50 Prozent der russischen Exporte derzeit in die EU gehen, nach China lediglich 10 Prozent und die Anteile der anderen BRICS-Staaten sind bedeutend geringer. Das wirtschaftliche Hauptinteresse liegt deshalb klar bei Europa.“ Zudem seien mit den Chinesen Energieabkommen zu - aus der Sicht Russlands - „sehr ungünstigen Konditionen“ abgeschlossen worden, die europäischen Abnehmer würden einen „wesentlich höheren Preis“ bezahlen.
Für die von Moskau geplante Eurasische Union sieht von Studnitz kaum Zukunftsperspektiven, da die „russischen Eigeninteressen zu stark sind“. Bei den anderen vorgesehenen Mitgliedstaaten (Weißrussland und Kasachstan) sowie den potenziellen Beitrittskandidaten seien ebenfalls die eigenen Bedürfnisse zu stark ausgeprägt.
Der Wille zur Unterstützung der prorussischen Separatisten in der Ukraine sei mit dem Abschuss der MH17-Maschine „deutlich erschüttert worden“. „Unter der Hand läuft die Unterstützung zwar weiter, jedoch ist sie insgesamt rückläufig“, so der Ex-Botschafter. Er sagte zudem: „Die Art und Weise wie die prorussischen Milizen mit dem Flugzeugabsturz umgehen, deutet auf ein rabenschwarzes Gewissen der Separatisten hin.“
Von Studnitz sagte auch, dass „die russischsprachigen Ukrainer im hohen Maß den Krieg der Ukrainer nicht befürworten - andererseits sind sie mehrheitlich im Herzen Ukrainer.“ Die Unterstützung für die Separatisten halte sich in Grenzen und liege lediglich bei „rund 10 Prozent“. Der ehemalige Botschafter betonte jedoch auch, dass das militärische Vorgehen der Ukraine gegen die prorussischen Milizen aus seiner Sicht „unausweichlich“ sei.
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko habe bereits angekündigt, eine Versöhnung erreichen zu wollen. „Eine Föderalisierung der Ukraine ist nicht zu erwarten, da die Angst vor neuen Bruchlinien zu groß ist“, betonte der Ex-Botschafter. Nach dem Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen sei es besonders wichtig „auf Basis einer Versöhnungs- und Aufbaupolitik wieder Vertrauen aufzubauen“. Auch gegenüber Russland müsse der Westen nach dem Konflikt „eine kluge Politik des Ausgleichs und der Versöhnung betreiben“, da dies „das alternativlose Rezept für die Zukunft“ sei, betonte von Studnitz.