„Wir jagen Ebola“ - Berliner Arzt als Helfer in Westafrika

Berlin/Conakry (dpa) - Wenn die Erinnerungen an Guinea kommen, dann sieht der deutsche Arzt Maximilian Gertler einen sechsjährigen Buben vor...

Berlin/Conakry (dpa) - Wenn die Erinnerungen an Guinea kommen, dann sieht der deutsche Arzt Maximilian Gertler einen sechsjährigen Buben vor sich. Das Kind trägt seinen Bruder zum Ebola-Behandlungszentrum der Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ in Westafrika. Gertler, 39, ist Internist und Notarzt. Er arbeitet als Infektionsforscher am Robert Koch-Institut in Berlin und engagiert sich bei Ärzte ohne Grenzen.

Fünfmal war der Arzt bei Einsätzen bereits in Afrika. Doch niemals war die Lage so angespannt wie derzeit bei dem Ebola-Ausbruch.

Die albtraumhafte Situation in Guinea: Der kleine Patient - so die Erinnerung des 39-jährigen Internisten und Notarztes - ist erst vier Monate alt. Es gibt niemanden, der ihn sonst zu den Helfern bringen kann - oder will. Die Eltern der Brüder hat das Ebola-Virus schon getötet. Das Baby wird wenige Tage später sterben. Und Gertler kann nur hoffen, dass die Dorfgemeinschaft den gesunden Sechsjährigen wieder aufnimmt. Die größte bekannte Ebola-Epidemie verbreitet in Westafrika nicht nur Panik - die Krankheit stigmatisiert auch jene, die sie nicht hinwegrafft.

Gertler arbeitete zunächst in Guinea, inzwischen auch in den Nachbarstaaten Sierra Leone und Liberia. „Die Lage ist außer Kontrolle“, sagt Mariano Lugli, Koordinator von Ärzte ohne Grenzen in Genf. Das Virus sei nicht zu stoppen, lokale Gesundheitsbehörden überfordert.

Denn es gibt noch keine zugelassene Impfung gegen Ebola und keine Therapie. Die einzigen Gegenmittel sind bisher Aufklärung der Bevölkerung, Isolierung der Kranken und die hartnäckige Überwachung aller Menschen, die mit Patienten Kontakt hatten. „Wir müssen bis in das hinterste Dorf“, sagt der Arzt. Sonst ist Ebola schneller.

Rund 1.200 Infizierte und mehr als 670 Tote listet die Ebola-Statistik bis zum 23. Juli in den drei westafrikanischen Ländern auf. Für Gertler verbinden sich Zahlen mit Schicksalen. Lebensgeschichten wie die des Mannes, der in nur vier Wochen seine beiden Ehefrauen und vier Kinder verlor. Nur ein siebenjähriger Sohn überlebte.

Das Virus wird von Mensch zu Mensch übertragen - über Speichel, Schweiß, Blut oder Urin. Aufklärung in Westafrika ist eine andere Herausforderung als in Europa. Viele Straßen sind schlecht, die Wege weit und die Mythen groß. Einheimische Helfer müssen Analphabeten erklären, wie ein Virus wirkt. Sie müssen einer stillenden Mutter mit Fieber klarmachen, dass sie ihr Baby mitnehmen, vorsorglich, wegen der Infektionsgefahr. Sie stoßen an Kulturgrenzen. Wie sollen sie trauernden Angehörigen erklären, dass sie ihre Toten nicht berühren dürfen und nicht waschen, wie es Tradition ist seit Jahrhunderten? Was muss es im ländlichen Afrika für Emotionen auslösen, wenn ein Dorf seine Toten in versiegelten Leichensäcken zurückbekommt?

„Manche nennen unser Zentrum Todeslager“, sagt Maximilian Gertler. An einige Dörfer kommen die Helfer nicht mehr heran, die Anfeindungen sind zu groß. Denn viel können selbst gut ausgebildete Ärzte nicht gegen Ebola ausrichten. Medikamente gegen die Krankheit gibt es nicht. So bleibt nur übrig, den Kreislauf der Patienten auf Isolierstationen mit Infusionen zu stabilisieren und sie gut zu ernähren. Die Patienten sehen nur Mondmenschen: Ärzte und Pfleger in Schutzanzügen, Gummistiefeln und drei Paar Gummihandschuhen - bei 30 Grad Hitze.

Die Überlebensraten in den fünf Camps von Ärzte ohne Grenzen im Ebola-Gebiet liegen im Moment im Durchschnitt bei bis zu 60 Prozent, berichtet Koordinator Lugli. Frauen infizieren sich häufiger, haben die Ärzte festgestellt. Wahrscheinlich, weil sie ihre Kinder und Angehörige pflegen.

Gertler wusste von Anfang an, wie gefährlich dieser Erreger ist, der den Kreislauf lahmlegt und den Körper innerlich verbluten lässt. Für ihn war es keine leichte Entscheidung, nach Guinea aufzubrechen. „Ich habe gehörigen Respekt vor Ebola“, sagt er. „Aber da war auch das Wissen, dass alle Kollegen sich bisher effektiv schützen konnten. Es geht also.“