Das Binnen-I ist nicht lächerlich
Die Tradition der argumentativen Auseinandersetzung kommt immer mehr abhanden. Stattdessen versucht man – wie am Beispiel feministischer Sprachkritik – berechtigte Anliegen der Lächerlichkeit preiszugeben.
Von Alexandra Weiss
Wissensbasiert ist eines der wichtigen neuen Wörter in den Bildungsinstitutionen, aus denen ja auch die Verfasser und der Großteil der UnterzeichnerInnen des „Offenen Briefes zum Thema sprachliche Gleichbehandlung“ kommen. Aber: Wer heute Kritik an der geschlechtergerechten Sprache übt, muss sich in keiner Weise mit wissenschaftlichen Erkenntnissen der feministischen Sprachwissenschaft, der Geschlechterforschung, der Sozialwissenschaften oder politischen Forderungen der Frauenbewegung befassen. Die gute demokratische Tradition der Auseinandersetzung, in der es darum geht, auf ein Argument fundiert mit einem Gegenargument zu antworten, ist – nicht nur hier – obsolet geworden. Man zimmert sich eine eigene Realität, verkürzt, verzerrt und unterstellt, um die Zumutungen feministischer Sprachkritik in ihrer Überzogenheit und Lächerlichkeit in möglichst grellen Farben zu zeichnen.
Nun dient Sprache keineswegs „allein der problemlosen Verständigung“, wie in dem offenen Brief behauptet wird. Sprache spiegelt gesellschaftliche Machtverhältnisse wider und unterläuft diese, insofern ist sie weder „neutral“ noch wird sie „basisdemokratisch“ weiterentwickelt. Das wäre naiv und würde die Erkenntnisse jeglicher Sprachwissenschaft ignorieren. Gerade in einem wissenschaftlichen Kontext – aber nicht nur dort – dient feministische Sprachkritik auch der Präzision. D. h., es geht keineswegs um ein „blindes“ oder automatisches „Gendern“ der Sprache, wie behauptet. Schreibt man etwa in Bezug auf die Tiroler Landesregierungen der Nachkriegsjahrzehnte von Politikern und heute von PolitikerInnen, dann bildet das jeweils eine soziale Realität ab. Eine soziale Realität, die sich verändert hat und die auch Produkt sozialer Kämpfe und Zeichen einer Demokratisierung der Gesellschaft ist.
Gerne wird auch vorgebracht, dass allein sprachliche Gleichbehandlung Machtverhältnisse nicht zu verändern vermag – nun, das weiß wohl niemand besser als die Feministinnen selbst. Vieles der grundsätzlichen feministischen Gesellschaftskritik ist in der politischen Umsetzung „verloren“ gegangen. In vielerlei Hinsicht sind formale Akte der Gleichbehandlung übrig blieben, die sich oft wenig (zu wenig) im alltäglichen Leben der Frauen materialisieren. Man spricht etwa von einer Politik der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und meint Frauen, nicht Männer und Frauen. Ökonomische Unabhängigkeit von Frauen und gleicher Zugang zu bezahlter Arbeit waren verbunden mit der Forderung nach öffentlichen Kinderbildungseinrichtungen, Beseitigung der Einkommensdiskriminierung, Arbeitszeitverkürzung und Gleichverteilung der unbezahlten Haus-, Erziehungs- und Pflegearbeit. Aber Hausarbeit liegt immer noch zum Großteil in Frauenhänden, institutionelle Kinderbetreuung ist weit vom tatsächlichen Bedarf entfernt, Arbeitszeitverkürzung ist kein Thema mehr und der Gender-Pay-Gap scheint eingefroren. Für (wohlfahrtsstaatliche) Politik, Unternehmen und individuelle Männer bleiben die Konsequenzen weiblicher Arbeitsmarktintegration marginal.
Der Zusammenhang zwischen diesen Bereichen wurde auseinandergerissen und die emanzipatorische Kraft feministischer Gesellschaftskritik damit ein Stück weit stillgelegt. Ein Schicksal, das der Feminismus allerdings mit vielen sozialen Bewegungen teilt. Aber dennoch: Weil sich Gerechtigkeitsansprüche des Feminismus auf alle gesellschaftlichen Bereiche beziehen, fanden sie in Kulturpolitik ebenso wie in Gewerkschafts- und Bildungspolitik Niederschlag. Ein Teil wurde staatlich realisiert (z. B. die Fristenlösung, das Gewaltschutz- oder das Gleichbehandlungsgesetz) und ein Teil findet sich in der Aushandlung des Alltags von Beziehungen.
Feministische Sprachkritik ist (nur) ein Ausdruck dieser sozialen Kämpfe. Sie bildet Bewusstsein und ist ein Mittel, das dazu anregen soll, über soziale Verhältnisse und die unterschiedlichen Lebensrealitäten von Frauen und Männern nachzudenken und sie abzubilden. Insofern ist die bemängelte Irritation durch das Binnen-I nicht problematisch, sondern wünschenswert, weil sie dazu anstößt, darüber nachzudenken, in welchen gesellschaftlichen Bereichen sich Frauen und Männer bewegen, in welchen nicht oder kaum, wo sie ausgeschlossen sind und warum. Irritierend ist vielmehr, wenn gerade WissenschaftlerInnen oder LehrerInnen dieses Nachdenken als Zumutung empfinden.
Befremdlich ist aber auch, dass in dem offenen Brief ein Bedrohungsszenario entworfen wird, in dem der Mehrheit von einem, „minimalen Prozentsatz kämpferischer Sprachfeministinnen“ deren Wille aufgezwungen werde. Frauenministerin und Wissenschaftsminister sollen dem nun endlich Einhalt gebieten. In einer politischen Auseinandersetzung wird die „Obrigkeit“ angerufen, um „Ordnung“ und „Normalität“ (wessen Normalität?) wieder herzustellen. „Die Feministinnen“ werden dabei als einheitliche gesellschaftliche Kraft gezeichnet, die im Zentrum der Macht agiert. Nun weisen die Verfasser der Briefes selbst darauf hin, dass die geschlechtergerechte Sprache in Medien kaum Verwendung findet. In Schulbüchern wird sie verwendet oder auch nicht. LehrerInnen wird die geschlechtergerechte Sprache empfohlen, tun sie es nicht, drohen keine Sanktionen. Wo finden sich nun also die „diktatorischen Zwangsmaßnahmen“?
Die Auseinandersetzung verweist darauf, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter alles andere als im „Zentrum der Macht“ angekommen ist. Warum so viel Aufregung darüber, dass viele finden, dass die Benennung und Sichtbarmachung von Frauen in der Sprache einfach angemessen ist? Wohl, weil es um mehr geht. Man könnte sagen, es ist ein „Stellvertretungskrieg“. Die versteckte Agenda ist die Abwehr und Delegitimierung von Emanzipation, Gleichberechtigung und Feminismus. Der offene Brief reiht sich in eine – insbesondere seit der Finanz- und Wirtschaftskrise stärker werdende – Strömung antifeministischer Polemiken ein. Auch dort werden Bedrohungsszenarien entworfen, die „den Feminismus“ als mächtigen Akteur phantasieren, der die Verhältnisse schon längst umgekehrt hätte und Männer zu Opfern eines übers Ziel schießenden Feminismus macht.
„Bestechend“ an der antifeministischen Argumentation ist dabei ihre Einfachheit – man möchte sagen: Einfältigkeit – und die „klaren Fronten“. Über gesellschaftliche Strukturen wird geschwiegen, das wäre intellektuelle Spekulation. Frauen werden etwa als Gewinnerinnen der Krise gezeichnet, während Männer die Verlierer seien – der „Gewinn“ besteht dann darin, dass Frauen vorübergehend eine um 0,1% bis 0,4% geringere Arbeitslosenquote als Männer aufwiesen. Was Frauen daran gewinnen könnten, bleibt verborgen. Die Argumentation funktioniert unter Absehen von sozial-statistischen Daten und durch die Konstruktion einer „eigenen Wirklichkeit“. Im Kontext von Wirtschaftskrise, der Destabilisierung sozialer Verhältnisse und der Zunahme sozialer Ungleichheit dient der Feminismus nicht zum ersten Mal in der Geschichte als Feindbild.
Angesichts der tatsächlich dramatischen Situation, in der sich die Welt befindet, möchte ich die Verfasser und UnterzeichnerInnen des offenen Briefes fragen, ob sie die Lage der Frauen weltweit ähnlich sorgt wie das Binnen-I und sie vielleicht auch dazu einen offenen Brief verfassen möchten. In gespannter Erwartung.