Verschwörung vermutet

„Wie im Kalten Krieg“: Sanktionen prallen an Moskau ab

Viele Russen vermuten eine westliche Verschwörung hinter den Maßnahmen der anderen Staaten und den Milliardenstrafen wegen der Yukos-Zerschlagung.

Von Ulf Mauder/dpa

Luhansk (Lugansk)/Kiew/Moskau – Der sonst so schlagfertige Kremlchef Wladimir Putin lässt in diesen nicht nur wegen sommerlicher Rekordtemperaturen heißen Tagen lieber andere reden. „Geopolitische Intrigen“ und „Methoden wie im Kalten Krieg“ seien im Gange, schimpfte der russische Parlamentschef Sergej Naryschkin angesichts der von USA und EU beschlossenen Sanktionen sowie dem Den Haager Urteils wegen der Yukos-Zerschlagung.

Milliardenstrafen, Untersuchung von Mordfall, Sanktionen

Der Westen wolle Russland schwächen, so Naryschkin, der treue Gefolgsmann Putins bei der internationalen Tagung „Großer Krieg. Lehren aus der Geschichte“. Es ist eine bittere Woche für die Russen mit einem Schwall negativer Nachrichten aus dem Westen: In Brüssel setzt die EU-Kommission die bisher schärfsten Wirtschaftssanktionen in Kraft, und in Straßburg verurteilen Richter Russland zu einer Strafe in Milliardenhöhe im Fall des zerschlagenen Ölkonzerns Yukos. Es ist das zweite Urteil im Verfahren um den einst größten russischen Ölkonzern - bereits zu Wochenbeginn sprach das Schiedsgericht in Den Haag den Ex-Eigentümern eine Entschädigung von umgerechnet 37,2 Milliarden Euro zu.

Zudem wird seit Donnerstag zum ersten Mal der Fall des 2006 mit dem Strahlengift Polonium 210 vergifteten Ex-Geheimdienstlers Alexander Litwinenko, ein Kritiker Putins, in London öffentlich verhandelt. Da lag es aus Sicht vieler Russen auf der Hand, dass eine solche geballte Wucht an Attacken nur auf eine Verschwörung des Westens gegen das Riesenreich zurückgehen könne.

„Russland ist in neuer Gefahr“

„Russland ist in neuer Gefahr“, donnert etwa Kommunistenchef Gennadi Sjuganow. Pathetisch appelliert er an alle patriotischen Kräfte, sie müssten jetzt zusammenstehen, um Russland und die „slawische Welt“ zu retten. 700 Jahre seiner tausendjährigen Geschichte habe Russland im Zustand mehr oder weniger militärischer Konflikte gelebt. Nun müssten erneut Sprache, Kultur und Glauben verteidigt werden, mahnte Sjuganow.

Der Kommunistenchef ist nicht immer nur gut auf Putin zu sprechen. Aber an diesem Tag erhält er vom Kremlchef den Alexander-Newski-Orden, benannt nach dem russischen Nationalhelden, der im 13. Jahrhundert lebte und von der orthodoxen Kirche als Heiliger verehrt wird.

Putin selbst äußert sich weder zu Sanktionen noch zu den Urteilen. Er denkt aber öffentlich zum Beispiel darüber nach, ob auf dem Kremlgelände nun Kirchen und Klöster wiedererrichtet werden sollten. Die Kommunisten ließen sie einst zerstören. Heute, da das Gelände unter dem Schutz des Weltkulturerbes steht, müsse der Wiederaufbau auch mit der UNESCO besprochen werden.

Parlamentschef: Strafmaßnahmen „juristisch nichtig“

Während sich der Westen an Russland abarbeitet, lebte Putin bisher demonstrativ Alltag. Die Sanktionen des Westens seien zwar schmerzhaft und schädlich für die Wirtschaft, hieß es im Kreml. Russland überlebe das aber. Parlamentschef Naryschkin kritisierte am Donnerstag, die Strafmaßnahmen seien juristisch „völlig nichtig“.

Die Politiker in den USA und EU spielten sich im „blutigen Ukraine-Konflikt“ als Richter auf und hätten keine Ahnung, was in der Ex-Sowjetrepublik vor sich gehe, schimpfte Naryschkin auf dem Kriegsforum. Der Westen tue so, als gäbe es den „Krieg“ nicht vor der eigenen Haustür, sondern auf einem „anderen Planeten“.

Sogar Gegner von Putin, die Anhänger einer liberalen Opposition und prowestliche Russen schauen zunehmend fassungslos auf die Unterstützung des Westens für die Ukraine. Dass dort Regierungstruppen mit Luftwaffe und Panzern zunehmend auch Zivilisten töten, Ukrainer gegen ihren Widerstand zum Kriegsdienst geholt und Kriegssteuern eingeführt werden, macht viele Russen sprachlos.

Proeuropäische Internetkanal dreht Expertin Ton ab

Der prominenten Vertreterin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), Tatjana Lokschina, drehte der proeuropäische Internetkanal Hromadske.tv in Kiew in einer Sendung einfach das Wort ab. Niemand wollte dort hören, dass nicht nur die prorussischen Separatisten schwerste Menschenrechtsverbrechen begehen, sondern, dass HRW solche Vorwürfe auch an die ukrainischen Truppen richtet.

Die proeuropäische Führung in Kiew ist begeistert davon, dass der Westen endlich Front macht gegen Russland. Die Russen aber werden sich weder mit den Milliardenforderungen im Yukos-Fall noch mit den Sanktionen abfinden. Das Land müsse nun alles tun, um Schaden abzuwenden, mahnte der Vizechef des Föderationsrates, Konstantin Dobrynin. Dazu sollten jetzt alle internationalen Verträge und Konventionen auf den Prüfstand. Russland könne diese aufkündigen.