Israel und Hamas vereinbaren Waffenruhe und Verhandlungen
Israelis und militante Palästinenser vereinbaren erstmals eine längere Waffenruhe. In Kairo soll parallel verhandelt werden. Die USA dämpfen Hoffnungen auf eine rasche Friedenslösung.
Gaza/Kairo - Israel und die radikalislamische Hamas haben einer dreitägigen Feuerpause im Gazastreifen zugestimmt. Sie solle Freitagfrüh um 07.00 Uhr MESZ in Kraft treten, hieß es in einer gemeinsamen Mitteilung von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und US-Außenminister John Kerry am Donnerstagabend. Noch in der Nacht auf Freitag kamen bei neuen Angriffen 14 Palästinenser und fünf israelische Soldaten getötet.
Waffenruhe soll Zivilisten Atempause verschaffen
Die Hamas bestätigten ihre Bereitschaft zur Feuerpause. Auch ein Sprecher des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu teilte wenig später mit, dass Tel Aviv den Vorschlag der USA und UN zur „bedingungslosen humanitären Waffenruhe“ akzeptieren werde. Dies sei auch dem UN-Sondervermittler Robert Serry zugesichert worden. Neben der Zustimmung zu der 72-stündigen Waffenruhe haben sich die beiden Konfliktparteien auf sofortige Verhandlungen in Ägypten um eine dauerhafte Waffenruhe geeinigt. Die ägyptische Regierung lud Israel und die Hamas noch in der Nacht zu Gesprächen nach Kairo ein.
Während der nun beginnenden Feuerpause werden die israelischen Streitkräfte nicht aus dem Küstengebiet abgezogen. Kerry erklärte, dass beide Seiten in Stellung bleiben würden. Israel werde „defensive Operationen“ gegen Hamas-Tunnelanlagen fortsetzen. Israels Premier Benjamin Netanyahu hatte zuvor erklärt, eine Waffenruhe sei nur akzeptabel, wenn Israel weiter Tunnelanlagen im Gazastreifen zerstören könne.
Ban und Kerry erklärten, mit der Waffenruhe solle unschuldigen Zivilisten eine Atempause verschafft werden. Sie solle den Menschen „eine dringend notwendige Entlastung von der Gewalt“ bringen. „Während dieser Zeit sollen Zivilisten sofort benötigte humanitäre Hilfe und die Möglichkeit bekommen, lebensnotwendige Aufgaben zu erledigen. Dazu zählt die Beerdigung der Toten, die Versorgung der Verletzten und die Beschaffung von Lebensmitteln“, sagte Kerry während eines Besuches in der indischen Hauptstadt Neu Delhi. Überfällige Reparaturen am Wasser- und Stromnetz sollen auch möglich sein.
Aber erneut fast 20 Tote in der Nacht
Gleichzeitig riefen die Vereinten Nationen sowie die USA auf, sich auch schon vor Beginn der Waffenruhe zurückzuhalten. Trotzdem setzten beide Seiten den Beschuss fort. Wie das israelische Militär mitteilte, feuerten Extremisten kurz nach der Ankündigung der Feuerpause drei Raketen ab. Das Abwehrsystem „Eisenkuppel“ habe eine über Zentralisrael abgefangen. In der Nacht starben insgesamt fünf israelische Soldaten. Bei israelischen Luftangriffen auf Khan Yunis im Süden des Gazastreifens wurden sechs Palästinenser getötet. Zuvor waren ebenfalls in Khan Yunis acht Menschen, darunter drei Kinder, durch Panzerbeschuss ums Leben gekommen, wie der Sprecher der Rettungskräfte, Ashraf al-Kudra, mitteilte.
Kerry betonte, dass die Feuerpause eine „Atempause“ und keine „Lösung“ sei. „Es ist eine Gelegenheit, eine Lösung zu finden.“ Es sei nicht die Zeit für „Glückwünsche und Freude oder irgendetwas außer ernsthafter Entschlossenheit“, einen Weg zu einer Beendigung des Konflikts zu suchen, so der US-Chefdiplomat.
Noch am Freitag könnten die Gespräch in Kairo beginnen. Für die Nominierung der palästinensischen Delegation ist nach Angaben eines hochrangigen US-Diplomaten Präsident Mahmoud Abbas zuständig, er selbst werde demnach aber nicht nach Ägypten reisen. Ein ranghoher Hamas-Vertreter sagte in Gaza, der palästinensischen Delegation würden auch Hamas-Vertreter angehören. Die Delegationen würden in Kürze nach Kairo abreisen. Saeb Erekat, Chefunterhändler der Palästinensischen Autonomiebehörde, erklärte im Gespräch mit dem US-Sender CNN, er selbst werde nicht nach Kairo reisen. Erekat hält sich derzeit in Doha auf.
Die USA schicken nach Angaben eines Mitglieds aus der Delegation von Außenminister John Kerry, der sich derzeit in Indien aufhält, den Nahostgesandten Frank Lowenstein zu den Gesprächen in die ägyptische Hauptstadt. „Beide Seiten werden alle Fragen auf den Tisch bringen können“, so Ban und Kerry. UN und USA dankten „allen regionalen Gruppen mit Einfluss“ für ihre Unterstützung. „Wir rechnen mit weiterer Hilfe bei den internationalen Bemühungen, um so schnell wie möglich eine dauerhafte Waffenruhe zu erreichen.“
Mehr als 1500 Tote bisher
Die UN-Nothilfekoordinatorin Valerie Amos und der Leiter des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA), Pierre Krähenbühl, hatten dem Weltsicherheitsrat am Donnerstag über die katastrophale Lage der Zivilbevölkerung in dem Küstengebiet berichtet. „Ich glaube, die Bevölkerung steht am Abgrund“, so Krähenbühl.
Zuletzt wuchs die internationale Kritik an Israels militärischem Vorgehen. So machte das UNRWA Israel für den tödlichen Beschuss einer UN-Schule in Dschabalija mit 16 Toten verantwortlich, während die israelische Armee einen versehentlichen Beschuss durch die Hamas für möglich hielt. Die US-Regierung erklärte ebenfalls, dass alle Indizien für einen israelischen Artillerie-Angriff sprächen.
UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay warf Israel angesichts der vielen zivilen palästinensischen Opfer die „vorsätzliche Missachtung“ völkerrechtlicher Verpflichtungen vor. Beide Konfliktparteien hätten „schwere Menschenrechtsverletzungen“ begangen, „die Verbrechen gegen internationales humanitäres Recht“ sein könnten. Bei der israelischen Offensive gebe es ein „Muster“, nach dem „Wohnhäuser, Schulen, Kliniken und UN-Einrichtungen“ angegriffen würden. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden.
Die israelische Armee hatte vor mehr als drei Wochen mit einer Offensive im Gazastreifen begonnen. Deren Ziel war es, den anhaltenden Raketenbeschuss aus dem Küstengebiet auf Israel zu unterbinden. Auch „Terror-Tunnel“, durch die militante Palästinenser auf israelischen Boden gelangen können, um Anschläge zu verüben oder Menschen zu entführen, sollten zerstört werden. Auf beiden Seiten zusammen starben bis Freitagfrüh mehr als 1500 Menschen, Tausende wurden verletzt. Die Bevölkerung des Gazastreifens hatte zuletzt immer stärker gelitten. (APA/dpa/AFP/Reuters)