Salzburger Festspiele - „Hinkemann“: Tote Hose statt Wiederbelebung
Salzburg (APA) - Mit „Hinkemann“ von Ernst Toller (1893-1939) wurde gestern im republic der Erste Weltkrieg-Schwerpunkt der Salzburger Fests...
Salzburg (APA) - Mit „Hinkemann“ von Ernst Toller (1893-1939) wurde gestern im republic der Erste Weltkrieg-Schwerpunkt der Salzburger Festspiele fortgesetzt und gleichzeitig das zum letzten Mal stattfindende „Young Directors Project“ eröffnet. Das 1924 uraufgeführte Stück um einen Mann, der durch einen Unterleibsschuss im Krieg seine Männlichkeit verliert, wird nur selten aufgeführt. Das dürfte auch so bleiben.
Ernst Toller war ein Idealist und Sozialrevolutionär, wie er im Buche steht. Der Dichter, der im Ersten Weltkrieg als Freiwilliger bei Verdun kämpfte und einen Zusammenbruch erlitt, war einer der Protagonisten der Münchner Räterepublik und wurde dafür mit fünf Jahren Festungshaft bestraft. Dort schrieb er nicht nur das aus der Beobachtung eines in seiner Zelle nistenden Vogelpärchens entstandene sehnsuchtsvolle „Schwalbenbuch“ („Der Mensch Mitte des Weltalls? Warum nicht die Schwalbe!“), sondern auch das Stück „Hinkemann“.
Das expressionistische Heimkehrerdrama lässt sowohl den aufgrund seiner Verletzung von allen verhöhnten Arbeiter Eugen Hinkemann, sondern auch seine ihn liebende Frau Grete daran zerbrechen, dass die Gesellschaft ihn nicht mehr als vollwertiges Mitglied akzeptiert. Wer seinen Mann nicht mehr stehen kann, wird ausgestoßen. „Ich denke, dass Tollers Idee von Hinkemann als dem neuzeitlichen tragischen Helden eine sehr starke und richtige ist“, schreibt der Regisseur Milos Lolic im Programmheft. „Für mich wird durch ihn die klassische Tragödie rekonstruiert oder theatralisch wiederbelebt, und das auf eine Art, die unverbraucht oder sogar prophetisch erscheint.“
Die angestrebte Wiederbelebung klappt indes nicht. Die 90-minütige Aufführung, die ab 19. September im koproduzierenden Düsseldorfer Schauspielhaus gezeigt wird, wird von einem von Bühnenbildnerin Sabine Kohlstedt ersonnenen Drehturm aus Metallstreben, Leuchtstoffröhren und Glühlampen dominiert, ein mechanisches Ungetüm, das Ringelspiel, Jahrmarktsbude und Spielfläche in einem ist. Hier wird Hinkemann (zwischen Verzweiflung und Aufbegehren: Jonas Anders) öffentlich vorgeführt und verlacht, hier muss er als Ratten und Mäuse totbeißendes Monster sein Brot verdienen, hier schlägt sein vermeintlich bester Freund (Daniel Christensen als erotischer Kriegsgewinnler) sofort Kapital aus dem Handicap des Kollegen, hier wird Hinkemanns Frau Grete (hin und hergerissen: Katharina Schmidt) schwach und schuldig.
Lolic, 1979 in Belgrad geboren und 2012 für seine Inszenierung von Wolfgang Bauers „Magic Afternoon“ am Volkstheater Wien mit dem Nachwuchs-Nestroy ausgezeichnet, schafft es nicht, das durch die Expressivität der Sprache in Richtung Pathos getriebene Ethos auf ein heute verträgliches Maß herunterzuschrauben. Arbeiter-Dialoge, in denen über eine künftige, gerechtere Gesellschaft philosophiert wird, stehen neben Monologen, in denen mit ständigem Kontrollblick in die tote Hose Gott Priapus als wahren Herrscher über alle Dinge gehuldigt wird.
In der Summe ein höflich akklamiertes, doch etwas befremdliches Unterfangen, eine Ausgrabung, die vor allem jenem Weltkriegs-Gedenken geschuldet scheint, dem Lolic eher skeptisch gegenüber steht: „Die Idee, den Beginn des Ersten Weltkriegs herauszustellen und zu feiern, erscheint mir dennoch seltsam. Sollten wir nicht lieber sein Ende feiern?“ Und Lolic schreibt auch: „Ich gebe zu, dass ich auf Gavrilo Princip (den Sarajevo-Attentäter, Anm.) stolz bin. Nicht, weil ich Mörder mag oder weil ich die Habsburger hasse, sondern, weil Princip ein echter Romantiker war.“ Das war Ernst Toller auch. Mit seinen Mitteln konnte er die Welt nicht ändern. Vor den Nationalsozialisten in die USA emigriert, erhängte er sich 1939 in einem Hotelzimmer in New York.
(S E R V I C E - „Hinkemann“ von Ernst Toller, Salzburger Festspiele in Koproduktion mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus, Regie: Milos Lolic, Bühne: Sabine Kohlstedt, Kostüme: Jelena Miletic, Musik: Nevena Glusica; Mit Jonas Anders - Hinkemann, Katharina Schmidt - Grete, Daniel Christensen - Paul Großhahn, Christian Ehrich - Budenbesitzer, Rainer Galke - Max Knatsch, Frank Seppeler - Michel Unbeschwert, Markus Danzeisen - Sebaldus Singegott, Irene Kugler - Die alte Frau Hinkemann; republic, Weitere Aufführungen: 1. bis 3. August, 20 Uhr, Karten: 0662/8045-500, www.salzburgerfestspiele.at)