Innenpolitik

Wenn anonymer Hass eine reale Straftat wird

Eine Ministerin plädiert für Töchter in der Hymne, ein Minister ruft zu Besonnenheit im Nahen Osten auf, beide ernten dafür Beschimpfungen.

Wien –Informationen beschaffen, Zeitung lesen, shoppen und mit Freunden chatten sowie neue Menschen kennen lernen. An den Segen des Internets haben wir uns längst gewöhnt, an die Schattenseiten auch. Stalking oder Mobbing über soziale Netzwerke oder anonymes Hetzen in diversen Online-Foren sind zwar neue Phänomene, die aber schon in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Dazu kommt noch der Diebstahl von Daten sowie Spionage und Überwachung – wie wir seit den Enthüllungen von Ex-NSA-Mitarbeiter Edward Snowden wissen. Trotzdem ist die Lust am Internet und an den sozialen Netzwerken ungebrochen: Jeden Tag sind mehr als 55 Prozent der Europäer mindestens einmal auf Facebook aktiv, und 43 Prozent der Österreicher nutzen Facebook täglich. Die jüngste Gruppe des Samples der Umfrage im Auftrag des niederländischen Finanzkonzerns ING Group, jene unter 24 Jahren, ist wie erwartet gleichzeitig die stärkste Nutzergruppe – 75 Prozent sind täglich in ihrem Facebook-Profil aktiv.

Wie tückisch das Internet und die sozialen Netzwerke sein können und welche Fallstricke – und wie viel Hass – dort lauern, erlebten in den vergangenen Wochen zwei Politiker. Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) hatte mit einem auf Facebook geposteten Foto, auf dem sie den aktuellen Hymnentext in die Kamera hält – als „Lernhilfe“ für den Schlagersänger Andreas Gabalier, der ja die alte, töchterlose Version bevorzugt – einen Shitstorm ausgelöst. Und Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hatte Anfang Juli einen Nahost-Friedensappell auf Facebook veröffentlicht, worauf es zahlreiche Kommentare gab, darunter auch antisemitische.

Und auch die ORF-Moderatorin Lisa Gadenstätter war nach einer Studio­diskussion in der ZiB 24 mit UETD-Chef Abdurrahman Karayazili wüsten Schmähungen von Anhängern der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (diese hatte eine Anti-Israel-Demo veranstaltet) ausgesetzt.

Dass es im Internet zu Shitstorms, also zu wüsten Beschimpfungen, kommt, ist nicht neu. Neu an diesen aktuellen Hass-Postings ist jedoch, dass die Autoren von Statements sich (großteils) mit ihrem echten Namen und einem Foto zu erkennen geben. Äußerungen wie „Nimm deine Beine in die Hand und renn ganz weit weg“, „Sie alte eingetretene Wirtshaustür, Zeit, sich von der Politik zu verabschieden“ und „Ihr dämlichen Emanzen“ waren auf der Facebook-Seite von Ministerin Heinisch-Hosek zu lesen. Doch manche User beschränkten sich nicht auf kritische Töne, teilweise waren die Reaktionen extrem feindselig und konnten auch als Bedrohung ausgelegt werden. Aus diesem Grund hat die Staatsanwaltschaft Wien Ermittlungen aufgenommen. Konkret gehe es um den Verdacht der gefährlichen Drohung, sagte die Sprecherin der Behörde. Die Staatsanwaltschaft wurde durch Medienberichte auf die teilweise wüsten Beschimpfungen aufmerksam und von Amts wegen aktiv. Nach Prüfung, ob der Anfangsverdacht der gefährlichen Drohung besteht, wurden nun Ermittlungen eingeleitet.

Auch auf der Facebook-Seite von Außenminister Kurz kam es zu verbalen Entgleisungen. „Die Eskalation der Gewalt im Nahen Osten ist besorgniserregend. Beide Seiten sind dazu aufgerufen, äußerste Zurückhaltung zu zeigen und über einen Waffenstillstand zu verhandeln“, postete Kurz Anfang Juli. Was dazu führte, dass die Staatsanwaltschaft das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) mit Ermittlungen beauftragte. Minister Kurz selbst hat die Behörde auf die bedenklichen Sätze aufmerksam gemacht. „Wir sind in einem Land, in dem es Gott sei Dank Meinungsfreiheit gibt“, sagte er. „Aber es gibt Grenzen und es gibt strafrechtliche Grenzen.“ Ermittelt wird gegen unbekannt wegen des Verdachts auf Verhetzung.

Somit befasst sich die Behörde schon in zwei Fällen mit jenseitigen Postings auf Politiker-Seiten. Juristisch gesehen ist es nicht von Belang, wo bedrohliche, verhetzende oder beleidigende Äußerungen getätigt werden – egal ob in einem klassischen Medium, auf einer Veranstaltung oder eben im virtuellen Raum. Allenfalls die Größe des Adressatenkreises spielt eine Rolle bei der strafrechtlichen Bewertung. Geklärt werden muss zudem auch stets die Frage, wer hinter Kommentaren steht, da Facebook zwar den echten Namen von den Usern verlangt, dies aber nicht immer eingehalten wird.

Auch rund um den Fall Gadenstätter hat es eine Anzeige gegeben. Gegenstand der Ermittlungen des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung sind Hass-Postings auf der Facebook-Seite von UETD-Chef Karayazili, aber auch mutmaßliche Relativierungen des Holocaust, die dort immer wieder zu lesen sein sollen.

Für Herbst ist jedenfalls ein „Gipfel gegen Verhetzung“ geplant, an dem neben Minister Kurz auch Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) sowie Vertreter der Religionsgemeinschaften teilnehmen sollen. (APA, ritz)