Öl, Thatcher und Braveheart - Wurzeln des schottischen Nationalismus

Edinburgh (APA) - Seit mehr als 300 Jahren ist Schottland kein eigenständiger Staat mehr, doch lange regte sich bei den Schotten dagegen kau...

Edinburgh (APA) - Seit mehr als 300 Jahren ist Schottland kein eigenständiger Staat mehr, doch lange regte sich bei den Schotten dagegen kaum Widerstand. Erst in den vergangenen vier Jahrzehnten wurde der schottische Nationalismus wieder zu einer Massenbewegung. Antrieb dafür waren die reichen Ölfunde vor der Küste, die in Schottland unbeliebte Regierung Margaret Thatchers - und das Heldenepos „Braveheart“.

An nationaler Identität mangelte es den Schotten noch nie - so fiebern die Kaledonier mit ihrem eigenen Fußballteam mit, stellen schottische Regimenter in der Armee, und unterhalten ein eigenes Rechtssystem. Doch seit der Vereinigung mit England und Wales im Jahr 1707 hat Schottland kein eigenes Parlament und wird von London aus regiert. Bis in die Nachkriegszeit war man nördlich des Hadrianswalls damit durchaus zufrieden, schreibt der Autor Iain Macwhirter in seinem Buch „Road to Referendum“.

Doch Ende der 1960er-Jahre wurde vor der Küste Schottlands Öl gefunden. Schnell sprudelten Gewinne in Milliardenhöhe aus den Plattformen und unter radikalen Regierungsgegnern wurde der Ruf laut: „It‘s Scotlands oil! - Das Öl gehört Schottland“. Die Schottische Nationalpartei (SNP), eine Kleinpartei mit ein paar hundert Mitgliedern, fuhr bei den britischen Parlamentswahlen 1974 einen Überraschungssieg ein und schickte elf Abgeordnete nach London.

Erstmals seit dem 18. Jahrhundert wurde der Ruf nach einem unabhängigen Schottland zwischen Carlyle und Scapa Flow wieder salonfähig. „Öl war ein äußerst starkes symbolisches Thema. Es war neu und es war dramatisch“, sagte der damalige Labour-Abgeordnete Tam Dalyell später.

Kurzfristig gebremst wurde der Vormarsch der neuen Nationalistenbewegung 1979 durch ein taktisches Manöver der Regierung von Labour-Premier James Callaghan. Dieser ließ in Schottland über die Einrichtung einer Regionalversammlung abstimmen, die aber kaum Kompetenzen erhalten sollte. Im Großbritannien der 1970er-Jahre mit seinen Streiks und Protesten ließ das Projekt die Wähler kalt - es verfehlte die nötige Zustimmung. Die SNP sprengte aus Rache die Regierung Callaghans. Die Neuwahlen im Frühjahr 1979 brachten die Konservative Margaret Thatcher an die Macht.

Thatchers Regierung entwickelte sich zu einer der unbeliebtesten in der schottischen Geschichte. „Sie war eine Frau, eine englische Frau und eine herrische englische Frau“, sagte ihr Schottland-Minister Malcom Rifkind. Dies habe den Schotten so gar nicht gefallen. Die Wirtschaftspolitik Thatchers führte zur Schließung Hunderter Fabriken im industriell geprägten Schottland - nach Schätzung waren in Thatchers Regierungszeit rund ein Drittel der erwachsenen Schotten arbeitslos. 1989 führte die Premierministerin eine neue Kommunalsteuer ein - zuerst in Schottland, erst dann im Rest Großbritanniens. Die Schotten gingen dagegen in Massen auf die Straßen. Ganze Gemeinden verweigerten die Eintreibung.

Zunächst brachte der Thatcherismus keine neue Politik in Schottland hervor: In den 1980er-Jahren waren die Nationalisten intern zerstritten, gespalten in einen moderaten und einen Linksaußen-Flügel. Doch die wirtschaftliche Malaise verschaffte ihnen langsam neuen Auftrieb. Dabei halfen auch andere Faktoren: 1990 wurde die schottische Geschichte wieder Pflichtgegenstand im Schulunterricht in Schottland. Und Hollywood bewirkte eine Renaissance der klassischen Schotten-Mythen.

1995 kam der Action-Film „Braveheart“ mit Hollywood-Star Mel Gibson auf die Leinwand. Er zeigte Schottlands Unabhängigkeitskampf im Mittelalter unter Freiheitskämpfer William Wallace. Schon bald darauf verteilten Aktivisten der SNP Flugzettel mit dem Bild Gibsons unter ihren Slogans. Nationalisten-Chef Alex Salmond forderte - in den Worten des Filmhelden - „Freiheit, Freiheit, Freiheit“, wie die „Financial Times“ unlängst in einem Rückblick erinnerte. Auch heuer, zum 700. Jahrestag von Wallace‘ heroischer Schlacht Bannockburn, nutzten Schottlands Nationalisten den Anlass geschickt für ihre Unabhängigkeitskampagne.

Endgültig zur dominanten Kraft in Schottland schafften es die Nationalisten in den 1990er-Jahren. Der in Edinburgh geborene Tony Blair richtete als Premierminister 1998 nach einem Volksentscheid erstmals seit 300 Jahren ein schottisches Regionalparlament ein. Dort erwies sich Nationalistenchef Salmond als gewiefter Taktiker. Er bremste dort die großen Parteien aus und machte seine Nationalisten rasch zur stärksten Kraft. Dabei helfen ihm bis heute zwei Argumente: Das Öl und das Erbe Thatchers. Salmond wurde 2007 zum Regierungschef Schottlands gewählt.

2010 kamen in London die Konservativen unter David Cameron an der Macht. Für Schottlands Nationalisten schlug damit die große Stunde: Sie argumentieren seither, es sei wie damals unter Thatcher - Schottland schickt linke Abgeordnete nach London, und bekommt eine konservative Regierung. 2011 siegte Salmond bei den Wahlen zum schottischen Parlament überwältigend und regiert nun allein. Seine Pläne für ein Unabhängigkeitsreferendum sind seither auf Schiene. 2012 stimmte händeringend auch London den Plänen zu. Mit der Abstimmung am 18. September könnte eine 300 Jahre alte Geschichte - die Großbritanniens - zu Ende gehen.