NATO verschärft Ton - Poroschenko kündigt Waffenruhe an

Newport/Brüssel (APA/Reuters/dpa/AFP) - Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat zu Beginn des NATO-Gipfels in Wales für eine Überras...

Newport/Brüssel (APA/Reuters/dpa/AFP) - Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat zu Beginn des NATO-Gipfels in Wales für eine Überraschung gesorgt. Er erwarte die Unterzeichnung eines Abkommens für einen Friedensplan am Freitag und stellte eine Waffenruhe ab morgen Mittag in Aussicht, sagte Poroschenko. NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen richtete indes scharfe Worte in Richtung Moskau.

Sollte das für morgen in Minsk geplante Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe bestätigt werden, werde er für die ukrainischen Streitkräfte ab Freitag 13.00 Uhr eine Waffenruhe anordnen, betonte Poroschenko. Das Dokument werde ein Stufenplan für eine friedliche Lösung des Konflikts sein, sagte er.

Bei dem Gipfel in Wales wurde indes ein harter Ton gegenüber Moskau angeschlagen. „Russland greift die Ukraine an“, kritisierte Rasmussen kurz vor Poroschenkos Äußerungen. „Wir haben es mit einem dramatisch veränderten Sicherheitsumfeld zu tun“, warnte er. Man begrüße zwar alle Bemühungen Russlands für eine friedliche Lösung in der Ukraine, so der scheidende NATO-Chef im Hinblick auf den am gestrigen Mittwoch vom russischen Präsidenten Wladimir Putin präsentierten Sieben-Punkte-Plan. Als Reaktion auf diesen „sogenannten Friedensplan“, müsse er jedoch hinzufügen: „Was zählt, ist was wirklich vor Ort passiert.“

Rasmussen kritisierte: „Wir beobachten leider immer noch eine russische Beteiligung bei der Destabilisierung der Lage in der Ostukraine.“ Die NATO fordere Russland daher weiterhin auf, seine Truppen von der Grenze zur Ukraine abzuziehen, das Einsickern von Waffen und Kämpfern in das Land zu stoppen, die Unterstützung von bewaffneten Separatisten einzustellen und konstruktive politische Bemühungen zu beginnen.

Wie ein NATO-Offizier am Rande des Gipfels in Wales erklärte, befinden sich derzeit nach Einschätzung des Militärbündnisses mehr als tausend russische Soldaten in der Ostukraine. Weitere etwa 20.000 russische Soldaten seien nahe der Grenze aufmarschiert. Zuletzt hatte die NATO lediglich von deutlich mehr als 1.000 russischen Soldaten gesprochen, die sich in den umkämpften Gebieten im Osten der Ukraine aufhielten.

Bei ihrem Treffen in Newport will die Allianz Stärke gegenüber Russland demonstrieren und der Regierung in Kiew Unterstützung signalisieren. Kurz vor Beginn der Gespräche traf der ukrainische Präsident Poroschenko mit US-Präsident Barack Obama, der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Francois Holland und Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi zusammen. Poroschenko sollte über die Lage in der Ostukraine und seinen Gesprächen mit Putin berichten.

Um die militärische Schlagkraft an der Ostgrenze des Bündnisses zu erhöhen, erwägt die NATO die Schaffung einer Schnellen Eingreiftruppe mit 4.000 Soldaten. Offen ist, ob die 28 Bündnispartner bereit sind, auch Verträge mit Russland aufkündigen. Darüber wird vor allem in den baltischen Staaten und Polen nachgedacht. Diese Staaten fühlen sich durch ein aggressives Russland bedroht und fordern dauerhafte NATO-Stützpunkte in ihren Ländern. Die Lage in der Ukraine habe einen Punkt erreicht, an dem sie sich nicht verteidigen kann, wenn sie nicht wirkliche Hilfe in verschiedenen Bereichen erhält“, bekräftigte der polnische Verteidigungsminister Tomasz Siemoniak.

Eine Teilnahme Österreichs an der Schnellen Einsatztruppe der NATO sei „zur Stunde kein Thema“, betonte Verteidigungsminister Gerald Klug (SPÖ). Einen Einsatz Österreichs für rotierende Operationen der NATO in Polen oder im Baltikum schloss Klug aus. Schweden und Finnland wollen beim NATO-Gipfel in Wales Abkommen unterzeichnen, die eine engere Zusammenarbeit mit der Schnellen Einsatztruppe der NATO (NRF) zum Ziel haben. Dem Vernehmen nach will Österreich zunächst abwarten, wie sich diese Partnerschaften weiter entwickeln.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow kritisierte indes die Pläne einer Annäherung der Ukraine an die NATO. Wer die Neutralität der Ex-Sowjetrepublik infrage stelle, gefährde die Suche nach einer Lösung im Ostukraine-Konflikt, sagte Lawrow der Agentur Interfax zufolge in Moskau. Gleichzeitig warb er noch einmal für ein Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe an diesem Freitag in Minsk, bei dem über eine Feuerpause verhandelt werden soll.

Er hoffe, dass das Gremium aus Ukraine, Separatisten, Russland und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) auch über den Sieben-Punkte-Plan Putins spreche. Aus Kiew kam weitere Ablehnung für Putins Friedensinitiative für die Ostukraine. Die ehemalige Ministerpräsidentin Julia Timoschenko kritisierte, Putin wolle den Konflikt nicht lösen, sondern einfrieren.

Ungeachtet der Friedensbemühungen starben in der Ostukraine erneut zahlreiche Menschen bei Kämpfen. Die Aufständischen berichteten von Gebietsgewinnen bei einer Offensive nahe der Separatistenhochburg Lugansk. Dabei wurden demnach mindestens 17 Regierungskämpfer getötet.

Bewohnern von Donezk zufolge soll in der Großstadt Artilleriefeuer zu hören gewesen sein. Nahe des Busbahnhofs seien drei Granaten eingeschlagen, hieß es. Die Großstadt sei weitgehend ohne fließendes Wasser, und das Mobilfunknetz sei zusammengebrochen.

Angesichts der schwierigen Lage in der Ukraine geriet ein anderer Tagesordnungspunkt des NATO-Gipfels in Wales in den Hintergrund. Am Nachmittag wollen die Teilnehmer auch über eine mögliche neue Mission in Afghanistan, wenn der NATO-geführte Kampfeinsatz zur Jahreswende nach 13 Jahren endet, beraten. An dem Gespräch nimmt auch Klug teil. Die NATO will den ISAF-Einsatz in Afghanistan noch in diesem Jahr beenden und eine kleinere Nachfolgemission vorbereiten. An Beratungen der NATO über die Ukraine-Krise nimmt der österreichische Verteidigungsminister nicht direkt teil.

(Grafik 1056-14, Format 134 x 75 mm)

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