Kunst

Jeden Tag ein Guernica

Als der Mensch lernte, aus der Luft zu töten: Die spanische Künstlerin Cristina Lucas hat die Geschichte der Bombardierung von zivilen Zielen recherchiert. Eine bewegende Filminstallation im Kunstraum Innsbruck.

Von Ivona Jelcic

Innsbruck –Im Februar 2003 ereignet sich eine denkwürdige Episode im UN-Sicherheitsrat: Bevor US-Außenminister Colin Powell dort die Haltung seiner Regierung zum Irak darlegt und die Kriegsgegner von der Notwendigkeit einer Invasion überzeugt werden sollen, wird auf Verlangen der USA die im UNO-Hauptquartier befindliche Reproduktion von Pablo Picassos „Guernica“ verhängt. Der Luftangriff auf die baskische Stadt Gernika durch deutsche Kampfflugzeuge während des spanischen Bürgerkrieges 1937 hatte Picasso zu seinem berühmtesten Gemälde inspiriert: Es wurde zum Inbegriff des Antikriegsbildes und des Leidens der Zivilbevölkerung unter der modernen Kriegsführung.

Der Tod kam freilich schon Jahre vor Gernika von oben, genauer gesagt 1912, als im Italienisch-türkischen Krieg aus Propellermaschinen Handgranaten auf Tobruk im heutigen Libyen geworfen wurden. Man muss nicht alle Einzelheiten über diese kriegerische Auseinandersetzung kennen, es werden im Sekundentakt unzählige weitere folgen: Über die ganze Weltkarte verstreut, auf die die Ortsnamen ziviler Ziele wie Bomben niederprasseln. Bis die Letter an den besonders intensiv beschossenen Punkten – Siedlungen, Städte und Regionen – zu tiefschwarzen Flecken verschwommen sind. „Die Welt ist voll von Guernicas“, sagt die 1973 im spanischen Jaén geborene Künstlerin Cristina Lucas, die die Geschichte aller weltweit dokumentierten Luftangriffe mit zivilen Opfern von 1912 bis 2012 recherchiert hat. Daraus ist die Drei-Kanal-Videoinstallation mit dem Titel „From the Sky Down“ entstanden, die allein durch ihre rund vierstündige Dauer ziemlich deutlich macht, dass man es hier mit einem Drama grenzenlosen Ausmaßes zu tun hat. Dargestellt als eine von Opferzahlen und historischen Kriegsbildern flankierte Videokartografie, die gerade durch ihre abstrakte Ästhetik eine bezwingende Intensität entwickelt. Vielleicht liegt’s aber auch an der geradezu comicartigen Dramaturgie, mit der sich die Weltpolitik hier darstellt: Etwa wenn nach 9/11 in den bis dahin fast blütenreinen USA ein Buchstabengewitter über Afghanistan und dem Irak hereinbricht.

Es gehe ihr aber keineswegs um eine „Einteilung in Gut und Böse“, sagt die Künstlerin. Sondern um die Darstellung von Macht und Möglichkeit, die, egal wo sie vorhanden seien, auch genutzt würden.

„Todbringendes Licht“, so der Titel der Ausstellung, ist die erste Präsentation von Cristina Lucas in Österreich. Und für Kunstraum-Chefin Karin Pernegger auch ein Beitrag zum Weltkriegs-Gedenkjahr, der nicht historisiere, sondern „etwas zeigt, das anhält“. Mit ihren politischen Installationen, Filmen und Performances macht Lucas seit einigen Jahren auch über ihre Heimat hinaus auf sich aufmerksam. Nicht selten geht es dabei um Strukturen der Macht, um das Sammeln und Vernetzen von Informationen. „From the Sky Down“ ist für sie „ein mit realen Daten gefülltes Bild“, eine „andere Form des Malens“. Die durch das Video „Piper Prometheus“ eine zusätzliche poetische Erweiterung erfährt: Die Erfüllung des uralten Menschheitstraums vom Fliegen wird zur Ouvertüre einer Geschichte des Grauens.

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