„Maut lass nach!“: Wie der Streit die Große Koalition in Berlin lähmt

München/Berlin (APA/dpa) - An vielen Koalitionen in Deutschland blieb ein Makel hängen. Bei Schwarz-Rot 2005 war es die Erhöhung der Mehrwer...

München/Berlin (APA/dpa) - An vielen Koalitionen in Deutschland blieb ein Makel hängen. Bei Schwarz-Rot 2005 war es die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die das Land ärgerte. Vier Jahre später sorgte der Steuernachlass für Hoteliers dafür, dass auf Schwarz-Gelb kein Segen lag. Nun entwickelt die Pkw-Maut in der „GroKo“ eine immer größere Sprengkraft.

Die große Überraschung ist nun, dass es nicht zwischen Union und SPD kracht, sondern im schwarzen Block. Bei Horst Seehofer jedenfalls ist am Wochenende das Maß voll. Er legt sich mit dem Schwergewicht im Kabinett an - Wolfgang Schäuble. In der CSU haben sie den CDU-Finanzminister schon lange auf dem Kieker, weil der schlaue Fuchs kaum eine Gelegenheit auslässt, über Unzulänglichkeiten im Maut-Konzept des CSU-Verkehrsministers Alexander Dobrindt zu spotten.

Erster Höhepunkt: Schäuble streckte, nach den Maut-Wirren gefragt, in der Bundespressekonferenz die Zunge raus - was als „Schleck-Alarm“ für Schlagzeilen sorgte. Nun findet ein Papier von Schäubles Beamten den Weg in den „Spiegel“. Auf sechs Seiten wird Seehofers Zögling Dobrindt vorgehalten, dass seine Kalkulation hinten und vorne nicht passt, letztlich schöngerechnet sei. Die Vignette, die nur Ausländer Geld kosten, deutsche Autofahrer über ein Verrechnungsverfahren mit der Kfz-Steuer aber verschonen soll, könnte viel weniger einbringen als die vom Verkehrsminister erhofften 600 Millionen Euro pro Jahr.

Dazu unkt das Haus von Innenminister Thomas de Maizière (CDU), es könne ein Verstoß gegen die Verfassung sein, wenn Pkw, Kleinlaster und Lkw ungleich behandelt werden. Das sitzt. Der bayerische Löwe Seehofer brüllt: „Das erhärtet eigentlich meine Vermutung, dass der Finanzminister ja alles tun möchte, um das zu verhindern“, so knöpft Seehofer sich Schäuble via „Süddeutsche Zeitung“ vor. Damit hat der Ministerpräsident aus München die nächste Eskalationsstufe gezündet - die er sich eigentlich für die Zeit nach den Landtagswahlen in Brandenburg und Thüringen am nächsten Sonntag aufheben wollte („Dann ist die Schonzeit vorbei“).

Seehofer geht die Nörgelei aus der CDU, die große Landesverbände wie NRW, Baden-Württemberg und Hessen ins Rollen brachten, gegen den Strich. Die Maut-Debatte sei zum politischen Problem in der Union geworden. „Einmal sind es die Grenzregionen, einmal ist es der Verwaltungsaufwand, dann ist es wieder das Europarecht“, schimpft er.

Das jüngste Machtwort von CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel zur Maut („Sie steht im Koalitionsvertrag, und sie wird kommen“) ist verpufft. Bei den Sozialdemokraten können sie ihr Glück kaum fassen - die Union zerlegt sich bei der Maut.

Der CSU-Vorsitzende, dem die Haderthauer-Modellauto-Affäre „dahoam“ schwer geschadet hat, weiß, was für ihn auf dem Spiel steht. Die Christsozialen dringen auf Bundesebene kaum durch - außer bei der Maut, die zunehmend den ganzen Koalitionsbetrieb zu lähmen droht.

Die Zuspitzung der weltpolitischen Lage mit Ukraine-Krise und Nordirak-Drama ist in der Koalition das Thema von CDU (Merkel, von der Leyen) und SPD (Steinmeier, Gabriel). Von der CSU ist dazu kaum etwas zu hören.

Liegt Seehofer nachts manchmal wach und denkt darüber nach, was passiert, wenn die Maut scheitert? „Wir sind nicht die FDP - die sind 2009 mit dem Versprechen von Steuersenkungen angetreten und haben nicht geliefert. Das Ergebnis ist bekannt.“ Auch beim Betreuungsgeld stand die CSU lange im Feuer - am Ende setzte Seehofer es durch.