Das Kaunertal steht vor der Kamera
Der deutsche Filmemacher Thomas Junker und der Kaunertaler Hotelier Charly Hafele drehen einen Film übers Kaunertal. In 80 Interviews lassen sie die Bewohner die Geschichte ihrer Heimat selbst erzählen.
Von Matthias Reichle
Kaunertal –Vorsichtig dreht der Geländewagen um die Kurve, rechts geht es steil nach unten, der Platz reicht gerade, dass alle vier Räder Halt finden. Thomas Junker gibt das Signal stehen zu bleiben, die letzten Meter will er zu Fuß gehen – das Stativ geschultert, die Kameras in großen Taschen verpackt.
Sein Beruf hat den deutschen Filmemacher bereits um die ganze Welt geführt. Mit seinem Motorrad fuhr er in 99 Tagen um den Globus, er reiste durch die Sahara und Sahelzone und vom Nord- zum Südpol. Diesmal musste er gar nicht so viele Kilometer abspulen, um dorthin zu kommen, wo es ihn seit den 90ern immer wieder hinzieht – in wilde Landschaften, wo Mensch und Natur miteinander ringen.
Auf einer Kuppe taucht der Lanerhof auf. Ein Gehöft hoch über Kaunerberg, von Steilwiesen umgeben, seit 1970 nicht mehr bewohnt. In der 300 Jahre alten Stube sitzt die 82-jährige Alma Eckhart. Sie hat mit ihrem Mann und ihren neun Kindern hier gelebt und gearbeitet, bevor sie nach Wenns übersiedelt ist. Fast schüchtern lächelt sie, während Junker und seine Assistentin Samantha Günther ihre Kameras aufbauen.
Sie drehen eine Dokumentation. „Ein Jahr im Kaunertal – Nacht und Heint“ soll der Fernsehfilm heißen. Es ist ihr 46. Drehtag, 100. werden es am Ende sein. Die Ausschnitte vom Lanerhof werden zeigen, wie entbehrungsreich und hart das Leben hier oft ist.
„I hab den Lanerhof nit verdrossen“, erinnert sich die alte Frau ans Weggehen. Waschen musste man sich mit kaltem Wasser am Brunnen, die Arbeit hat den Tagesablauf bestimmt, erinnert sie sich vor der Kamera. „Im siebten Monat schwanger hab ich noch mit der Sense gemäht.“ Und im Winter war die Angst vor den „Lanen“, während die Kinder allein am Schulweg waren – eine Dreiviertelstunde zu Fuß nach Kaunerberg. Wenn sie im Frühling dann die Nassschneelawinen rumpeln hörten, war es Zeit, die Kartoffel anzubauen, erinnert sich auch ihr ältester Sohn Franz an seine Kindheit.
Junker lässt sie erzählen, hält sich zurück, versucht nur hie und da die Erinnerung mit Fragen wieder hervorzuholen. Es soll authentisch sein, darum filme er auch ohne zusätzliches Licht, betont der Journalist.
„Mir ist es wichtig, die Kultur, die noch erhalten ist, zu zeigen. Sie verschwindet leider viel zu schnell“, erklärt er seine Motivation hinter dem Projekt, das er mit dem Kaunertaler Hotelier Charly Hafele umsetzt. Geboren wurde der Film auf einer ihrer gemeinsamen Reisen in Kirgistan, erinnert sich dieser.
Im Winter haben sie begonnen, Zeitzeugen über das Leben im Kaunertal zu befragen, um zu zeigen, wie es „im schönsten Seitental Tirols“ (Hafele) zugeht. Hafele fungiert dabei als Produzent, sucht Drehorte und Interviewpartner. „Es soll kein Werbefilm werden, den in zehn Jahren keiner mehr sehen will, sondern eine Dokumentation, die erst mit den Jahren so richtig interessant wird“, betont er.
Die Idee ist zusätzlich, eine Art offenes Archiv zu schaffen, betont Junker, um die Interviews in voller Länge auch im Internet abrufbar zu machen. „Solche Erinnerungen sind unglaublich wichtig“, versichert er. Selbst wenn der Film nach zwei Jahren abgeschlossen ist, will er auch weiterhin Leute aus der Region interviewen, damit ihr Wissen nicht verloren geht, sagt er noch beim Zusammenpacken am Lanerhof. Er wird wiederkommen, wenn besseres Licht ist, um auch die Umgebung zu filmen, verspricht er. Uraufführung ist im Februar 2016 im Kaunertal.
Erste Eindrücke vom Film gibt es hier: http://vimeopro.com/thomasjunker/ein-jahr-im-kaunertal