Die beharrlichen Schatten der Vergangenheit
Uraufführung: Elisabeth Orth fasziniert in Ewald Palmetshofers „die unverheiratete“ am Wiener Akademietheater.
Von Bernadette Lietzow
Wien –„Mir ist ein bisschen blümerant“, sagt „die Alte“, deren Vergangenheit, die schuldhafte Verstrickung in den NS-Terror, sich wie ein grausiger Comic vor deren trüben Augen und schwindendem Sinn abspult. Elisabeth Orth ist diese „Alte“, und man meint, der Dramatiker Ewald Palmetshofer hätte ihr diese Täterin, deren Vergehen und darauf folgende Strafe in guter NS-Tradition mehr „Stählung“ als Besinnung zur Folge hatte, auf den Leib geschrieben.
Wie Orth mit kleinen Gesten und kraft ihrer beeindruckenden Stimme die Bühne, die Zelle, Pflege- und Eigenheim zugleich ist, mit dem Lebensmüll eines Menschen anfüllt, dessen Tat sich wie ein Parasit in das Leben von Tochter und Enkelin eingenistet hat, macht die am Sonntag im Akademietheater aus der Taufe gehobene Uraufführung von „die unverheiratete“ allemal zum Ereignis. Ihr zur Seite steht die in ihrer kurzen Zeit am Burgtheater zu Recht gefeierte Stefanie Reinsperger in der Rolle der „Jungen“, die sich auf die Spuren der großmütterlichen Denunziation begibt, die zum Tod eines jungen Deserteurs und zur Haftstrafe im Nachkriegsösterreich geführt hatte. Zwischen diesen beiden Frauen steht „die Mittlere“, Mutter und Tochter zugleich, die versucht, ihre Verstörung durch Verleugnung klein zu halten. Christiane von Poelnitz ist diese Schwirrende, die nur einmal, in einer Elektra-Paraphrase, wirklich Person wird.
Ewald Palmetshofer, der derzeit wohl erfolgreichste österreichische Jung-Dramatiker, konstruiert in „die unverheiratete“ ein Gedankengebäude rund um das große Thema von Schuld und Verdrängung, das der österreichischen Gesellschaft bis heute seinen Stempel aufdrückt. Er findet etliche aufregende Sprachbilder, immer wieder konterkariert von scheinbaren Plattitüden, doch bleiben seine Figuren seltsam verhalten, will man ihnen nicht folgen, was die Aufmerksamkeit in den über zwei pausenlosen Stunden mindert. Weitergetrieben wird die Handlung von den „Hundsmäuligen“, vier Schwestern, die einmal als Biedermeier-Püppchen, gestrenge Bürodamen in Bleistiftrock oder als in Musical-üppige Jahrhundertwende-Kostüme (Janina Brinkmann) gehüllte Krankenschwestern das Gerichtsverfahren der „Alten“ vorstellen. Petra Morzé, Sylvie Rohrer, Sabine Haupt und Alexandra Henkel geben diesen bemerkenswerten Chor absonderlicher Rachegöttinnen.
Der aus Erfurt stammende Robert Borgmann zeichnet neben der Regie auch für die Bühne verantwortlich und setzt dabei auf die doch etwas abgegriffene Symbolik von Erde: In akkuraten Beeten, bereit zum Besäen, ist die Erde zu Beginn angeordnet und wird am Ende des Stückes, wenn die „Alte“ sich am selbst gefertigten Häkelstrick erhängt hat, zum unheiligen Gottesacker mutieren. Grelles, fast schmerzendes Licht, abgelöst von Dunkelheit, das heftige Auf und Ab des Bühnenvorhangs und dunkle Klänge der Soundkünstler Webermichelson sind weitere Gestaltungselemente, die der von Lichtelementen flankierten kargen Bühne Kontur verleihen sollen.
Ganz vermittelt sich jedoch weder Palmetshofers Text noch die Idee des Regisseurs, drei an der Macht der Geschichte zerriebene Frauenleben zu zeigen. Trotzdem Begeisterung beim Premierenpublikum.